Süddeutsche Zeitung

Premiere bei Union Berlin:Sie wird schon mit Nagelsmann verglichen

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Nach dem Ende der Urs-Fischer-Ära vertraut Union Berlin sein kriselndes Team einer ungewöhnlichen Doppelspitze an: Interimscoach Marco Grote und Marie-Louise Eta, der ersten Co-Trainerin der Bundesliga-Geschichte.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der professionelle Fußballbetrieb ist alles andere als frei von Egozentrik, auch deshalb war die erste Pressekonferenz von Marco Grote, 51, als Nachfolger von Urs Fischer interessant. Grote, jetzt Interimstrainer von Union Berlin, stand zwar nicht alleine dort. Aber als Grote von "wir" und "uns" sprach - so aufreizend oft, dass man zweifeln konnte, ob das Pronomen "ich" überhaupt Teil seines Wortschatzes ist -, da meinte er damit nicht den Pressesprecher Christian Arbeit, der bei der Präsentation den wingman gab . Grote bezog seine Co-Trainerin Marie-Louise Eta, 32, mit ein, die in den vergangenen Tagen die Berichterstattung rund um Union dominiert hatte.

Denn was dem Profibetrieb die Egozentrik ist, das ist der Medienwelt die unkonventionelle Personalie. Und unkonventionell heißt in diesem Fall, dass erstmals in der Geschichte der Bundesliga eine Frau als Co-Trainerin auf der Bank sitzen wird, an diesem Samstag (15.30 Uhr) bei Unions Heimspiel gegen den FC Augsburg.

Man arbeite "im Prinzip gleichberechtigt", betonte Marco Grote, und es klang, als sei beim 1. FC Union eine weiblich-männliche Doppelspitze installiert worden, wie man sie von progressiven Parteien kennt, aber nicht aus der chauvinistischen Fußballindustrie. "Das ist ein Team", unterstrich Grote.

Eta verblüfft die Männer in ihrem Umfeld: Die kann ja kicken, aber richtig

Dass Eta und er zueinander fanden, hat viel mit dem SV Werder zu tun. Grote spielte in der Jugend in Bremen und begann dort auch seine Trainerkarriere, bei Eta war es ähnlich. Sie spielte bei Werder als technisch brillante Sechserin im Bundesliga-Team und ging als hauptamtliche Trainerin ins Nachwuchsleistungszentrum. Wer sich in Bremen nach ihnen erkundigt, hört nur Gutes. Zum Beispiel von Werders Ex-Profi Clemens Fritz. Wenn der nach dem traditionellen Montagabend-Freizeitkick im Klub über fußballerische Qualität staunte, dann meinte er ausdrücklich: Eta, die alle nur "Loui" nennen. "Die kann richtig kicken!", rief Fritz, als er vor geraumer Zeit mit Ralf Peter, 62, über Eta sprach.

Peter war Etas Trainer - unter anderem in der U17-Auswahl des DFB, die 2017 in Neuseeland die WM gewann. Später, als Eta die A-Lizenz erwarb, wurde Peter beim Verband ihr Ausbilder. "Mein lieber Scholli", habe er gedacht, als er sie in den Kursen reden hörte und agieren sah, "ein echtes Trainertalent!" Wenn man Peter dann nur ein paar Sekunden weiterreden lässt, sind Vergleiche mit Trainern wie Julian Nagelsmann nicht mehr weit, auch den heutigen Bundestrainer bildete er einst aus.

Diese Analogie liegt nicht nur daran, dass auch Eta eine Einser-Absolventin wurde. Peter attestiert ihr auch "Super-Ansprachen", rühmt ihren Umgang mit Gruppen, ihre Entscheidungen beim Coachen, ihre Bestimmtheit und Konsequenz. Sie habe in den Kursen ihren mit früheren Profis gespickten (Männer-)Teams, wenn nötig, in den Hintern zu treten vermocht. Das entspricht übrigens dem Echo, das man von den Wänden der Alten Försterei hört, seit die beiden am 15. November Urs Fischer beerbten.

Grote sagt, man sei ohne Vorwarnung ins Büro von Präsident Dirk Zingler bestellt und dort mit der neuen Lage konfrontiert worden. Sprich: dass Fischer seit dem Vorabend nicht mehr Trainer war und sie ihm nachfolgen sollten. "Es war ein relativ kurzes Gespräch", sagt Grote, "wir mussten nicht überlegen. Weder Loui noch ich."

Die Lage ist düster, das Team muss punkten und Selbstvertrauen schöpfen

Union hatte Grote schon 2022 geholt, um die Nachwuchsarbeit zu "professionalisieren", wie Klub-Manager Oliver Ruhnert erklärt. Union hat keine U23-Mannschaft, die U19 ist mithin die zweite Mannschaft des Klubs. Grote hatte ein paar Stationen im Berufsfußball hinter sich. Nachdem er die B- und A-Junioren von Werder betreut hatte, trainierte er für 23 Spiele den damaligen Zweitliga-Aufsteiger VfL Osnabrück (2020/21) und kurzzeitig den griechischen Erstligisten Apollon Smyrnis. 2023 holte Grote Eta dazu, die er schon bei Werder kennen und schätzen gelernt hatte. Danach war Eta im Nachwuchsbereich des DFB tätig. "Ich weiß verlässlich, dass man beim DFB sehr, sehr traurig war, als sie ging", sagt Ralf Peter.

Grote sagt, er habe schon seit Jahren ins Auge gefasst, mit Eta zusammenzuarbeiten. Der Austausch über Fußball weckte in ihm die Überzeugung, dass sie zueinanderpassen würden. "Ich schätze sie sehr. Sie ist ein sehr offener Mensch, mit sehr viel Freude am Spiel und der Arbeit mit Menschen." Nun stehen sie gemeinsam in der Bundesliga an der Seitenlinie - und müssen eine ausgewachsene Krise bewältigen. Union blickt auf 14 Spiele ohne Sieg zurück und muss die Trauer überwinden, die in Köpenick ob des Endes der fünfeinhalbjährigen Ära von Fischer herrscht - und enorm ist. Den Respekt vor Fischers Werk in Köpenick muss man Grote nicht lehren. Aber einen Rückblick verbat er sich resolut: "Wir sind jetzt in der Zukunft."

Unions Gegenwart ist düster wie seit Jahren nicht mehr. Der Verein muss Punkte sammeln, die Mannschaft Selbstvertrauen schöpfen, neue Impulse bekommen, ohne Bewährtes völlig zu vergessen. Man werde "nicht alles auf links drehen", versichert Grote, obwohl er als Werderaner fußballerisch von Otto Rehhagel und Thomas Schaaf geprägt wurde, den Meistern der hanseatischen, kontrollierten Offensive. Aber sie haben in den vergangenen Tagen nicht über Programmatik, sondern nur über Augsburg gesprochen.

Nicht einmal bis nach Braga reichten die Gedanken, wo Union am nächsten Mittwoch in der Champions League antritt, und schon gar nicht in die Zeit danach. Union sondiert den Trainermarkt, das ist gewiss. Doch im Klub weiß man auch, dass sich die Halbwertzeit so mancher Interimslösung schon mal verlängert hat. Manchmal sogar ins vergleichsweise Unendliche.

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