Jadon Sancho beim BVB:Jetzt auch noch Punkte in der Sympathietabelle
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Erst der Hattrick, dann die Botschaft: Jadon Sancho erlebt einen prägendenen Tag in seiner Vita - ob er Dortmund verlässt, bleibt offen.
Von Ulrich Hartmann, Paderborn/München
Man sollte darauf gefasst sein, dass der Ausnahmefußballer Jadon Sancho, geboren in London, in seinem ganzen Leben nie wieder in der Stadt Paderborn spielen wird. Die Branche rechnet damit, dass Sancho seinen Klub Borussia Dortmund im Sommer in Richtung Heimat verlässt. Ausgerechnet in der fußballerisch international eher bedeutungsarmen Stadt in Ostwestfalen hat der Flügelstürmer am Pfingstsonntagabend aber mehrere Meilensteine in seiner noch jungen Laufbahn markiert. Sein Mitspieler Thomas Delaney sagte hinterher über ihn: "Jadon Sancho hat das Zeug, einer der fünf größten Spieler der Welt zu werden."
Beim 6:1, dem höchsten Saisonsieg seines BVB, markierte er mit nur drei Torschüssen seinen ersten Hattrick. Im Alter von 20 Jahren, zwei Monaten und sechs Tagen löste er den Leverkusener Kai Havertz als jüngsten Spieler in der 57-jährigen Geschichte der Bundesliga ab, der insgesamt schon 30 Tore erzielen konnte. Und schließlich setzte er sich für die laufende Saison mit 17 Saisontreffern und 17 Torvorlagen vor Robert Lewandowski vorübergehend an die Spitze der Scorer-Liste.
Es hätte folglich genug Stoff gegeben, um im Internet auf sich aufmerksam zu machen, doch nach dem Spiel setzte Sancho einen Tweet ab, der ihm auch noch Punkte in der Sympathietabelle bescherte. Er schrieb auf Englisch: "Mein erster Hattrick ist ein bittersüßer Moment für mich, weil in der Welt gerade bedeutsamere Dinge vor sich gehen, um die wir uns kümmern und die wir verändern müssen; wir müssen zusammen um Gerechtigkeit kämpfen - zusammen sind wir stärker."
Sanchos handgeschriebene Botschaft
Nach dem ersten seiner drei Treffer hatte Sancho im Stadion auf Kosten einer gelben Karte sein Trikot ausgezogen und auf dem Shirt darunter eine handgeschriebene Botschaft präsentiert im Gedenken an den bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis zu Tode gekommenen Afroamerikaner George Floyd. Bedenkt man neben den Ausschreitungen in US-Großstädten auch noch die weltweiten Folgeschäden der Corona-Krise, dann gibt es tatsächlich viel bedeutsamere Dinge auf der Welt als den Fußball. Und dann hing im leeren Fanblock des SC Paderborn am Sonntag auch noch ein einsames Banner, auf dem stand: "Ohne Fans ist Fußball nichts."
Angesichts dieser eindrücklichen Gemengelage fand im Paderborner Stadion ein Spiel statt, in dem es in der ersten Halbzeit nur zu weitgehend bedeutungsloser Statistik kam. Bis zur 54. Minute fiel nicht mal ein Tor. Dann aber brach sich die individuelle Überlegenheit der Dortmunder Bahn, die Westfalen demonstrierten fünf Tage nach der wohl titelentscheidenden 0:1-Niederlage gegen den FC Bayern, dass sie die Saison noch nicht abhaken. Trotzdem bleiben es bei fünf ausstehenden Spielen sieben Punkte Rückstand auf den sehr stabilen Tabellenführer aus München.
"Bayern wird Meister, und wir versuchen so schnell wie möglich, uns für die Champions League zu qualifizieren", hatte der BVB-Sportdirektor Michael Zorc vor dem Anpfiff gesagt. Wäre er Schachspieler, dann hätte er dem Münchner Kontrahenten damit sozusagen die Hand hingehalten, als Geste der Kapitulation.
So weit wollte der Trainer Lucien Favre nach dem Spiel nicht gehen. Er sagte in der ihm eigenen Abwehrhaltung, dass man von Spiel zu Spiel denke und am Ende sehe, was dabei herausspringe. Von den trotz Mundschutz unbeirrt spitzzüngigen TV-Reportern ist er dann wieder ein bisschen provoziert worden, er sollte explizit sagen, dass er den Titel noch nicht abgeschrieben hat - das Ganze vor dem Hintergrund, dass man ihm nach der Niederlage gegen München suggeriert hatte, er sei kein Trainer, der eine Mannschaft zum Titel führen könne.
Doch als Favre die neuerlichen Provokationen während des Interviews bemerkte, reagierte er gereizt, schickte einen blitzenden Blick über das Mikro hinweg und zeigte spontane Fluchttendenzen. Das Gespräch endete abrupt.
Auch Sanchos Zeit in Dortmund könnte zu Ende gehen, nur noch fünf Spiele wird er vermutlich für den BVB bestreiten, die Fans würden ihn dann nicht mehr live im Stadion spielen sehen. Sollte nur eines der Gerüchte rund um Klubs wie den FC Chelsea, Manchester United oder Paris St. Germain stimmen, dann wird Sancho gehen. Allerdings: Die wirtschaftlichen Corona-Auswirkungen nähren auch Zweifel daran, dass Klubs im Sommer willens oder in der Lage sind, dreistellige Millionensummen zu bezahlen, und genau die würde Dortmund mit Sancho gerne erzielen wollen.
Sein Vertrag gilt bis 2022, sein Marktwert liegt jenseits der 100 Millionen Euro. Sollte kein Interessent so viel bezahlen wollen, bliebe Sancho vielleicht doch noch ein Jahr länger beim BVB. Nach Paderborn wird er dann aber trotzdem kaum zurückkehren. Der Abstieg der Ostwestfalen nimmt konkrete Form an.