Süddeutsche Zeitung

Johannes Dürr:Der Kronzeuge

Lesezeit: 3 min

Von Claudio Catuogno

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der österreichische Skilangläufer Johannes Dürr, 31, guten Gewissens sagen kann, dass er diesmal das Richtige getan hat. Er hat der Münchner Staatsanwaltschaft verraten, wer ihn einst mit Blutdoping versorgte. Dr. Mark Schmidt, Erfurt. Ein Name, eine Stadt. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Und nun muss Johannes Dürr mit den Folgen zurechtkommen.

Er hat mit seiner Aussage den größten Dopingskandal seit den russischen Betrugsspielen 2014 in Sotschi ausgelöst. Und die WM in Seefeld, mit der Österreich Werbung machen wollte für seine Bergwelt, wird jetzt mit anderen Bildern in Verbindung gebracht: mit Polizisten, Blutbeuteln und verhafteten Athleten. Einer hatte beim Zugriff noch die Nadel im Arm. Blutdoping eben. Dürr weiß, wie das geht.

Zum Kronzeugen wird man in der Regel umständehalber. Um über dunkle Machenschaften auszupacken, muss man sie selbst erlebt haben. So wie der 1987 in Niederösterreich geborene Dürr. Schon bald fiel sein Talent in der Loipe auf, 2007 debütierte er bei der Junioren-WM, 2011 im Weltcup. Es waren jene Jahre, in denen Dürr noch "felsenfest davon überzeugt war, dass ich es ohne Doping schaffe". Aber weil er schon damals einen klaren Blick hatte für die Mechanismen seiner Kraft-Ausdauer-Disziplin, fragte er sich mit der Zeit, ob er mit seiner Integrität in der Minderheit ist. Ein Teamkollege, sagt er, habe ihn dann mit jenem Erfurter Arzt in Kontakt gebracht, den die Ermittler nun als Kopf eines "weltweit agierenden Dopingnetzwerks" bezeichnen.

Vor Olympia 2014 lag Dürr selbst auf der Liege

Dürr könnte jetzt eine Menge erzählen über den Österreichischen Skiverband (ÖSV), in dem beim Thema Doping mindestens ein Klima des Wegschauens zu herrschen scheint. Aber als Dürr Ende 2018 mal damit anfing, ließ der ÖSV eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirken. Dürr darf dazu jetzt nichts mehr sagen, jedenfalls nicht bis zur Hauptverhandlung im April.

Wie er selbst zum Doper wurde, hat Dürr in einem Buch aufgeschrieben, und im Januar hat er es in einer ARD-Dokumentation erzählt. Namen, beteuerte er jeweils, wolle er keine nennen - auch in einem SZ-Interview in der vergangenen Woche tat er das nicht. Er wolle keine alten Kameraden in Schwierigkeiten bringen, sagte Dürr, er wolle bloß andere Sportler "warnen" vor den Zwängen eines perversen Hochleistungsbetriebs. Die Ermittler, die da längst die Telefone der deutschen Blutkuriere abhörten, könnten also sogar erheitert belauscht haben, wie das Erfurter Netzwerk daraus irrtümlich schlussfolgerte, es könne einfach immer so weitermachen, auch in Seefeld.

Vor Olympia 2014 lag Dürr selbst auf der Liege, hat sich Blut abnehmen, es einlagern und vor dem Wettkampf zurückführen lassen. Er ist ein reflektierender Mensch, einer, der sich viele Gedanken macht über den Sport. "Es hat sich immer falsch angefühlt", sagt er rückblickend. Und doch ist es Dürr dann nicht leichtgefallen, sich über die diskrete Intimität zwischen Sportler und Arzt hinwegzusetzen. Bloß: Staatsanwälte haben halt auch ihre Methoden, Leute zum Reden zu bringen. Die Erkenntnis, dass er kein Verräter ist, sondern seinem Sport einen Dienst erwiesen hat, kommt Dürr vielleicht später.

"Der Weg zurück", so heißt das Buch, das er gemeinsam mit dem Schriftsteller Martin Prinz verfasst hat. Es beginnt in der Nacht vor dem Wettkampf 2014 in Sotschi, als Dürr positiv getestet wurde. Dürr schildert das tiefe Loch, in das er danach fiel, und auch, wie seine kleine Familie daran zerbrach. Kleine Kuriosität am Rande: Sein Schwiegervater ist ein Biathlon-Funktionär, der selbst schon mit Dopingvorwürfen konfrontiert wurde.

Anmerkung der Redaktion vom 6. März 2019: Die Überschrift dieses Artikel lautete in der ursprünglichen Version "Der Sport braucht Leute wie ihn". Am Mittwoch, den 6. März, wurde bekannt, dass Dürr auch 2018 noch gedopt haben soll. Daher wurde die Überschrift geändert. Zudem wurden die letzten fünf Sätze gestrichen, die lauteten: "Ursprünglich sollte der "Weg zurück" Dürr zur WM in Seefeld führen. Dort wollte er seine Karriere beenden, ungedopt. Das hat der ÖSV verhindert. Jetzt ist es trotzdem die WM des Johannes Dürr geworden. Der Sport bräuchte mehr Leute wie ihn, die nicht zweimal das Falsche tun: erst dopen und dann schweigen."

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Quelle:
SZ vom 01.03.2019
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