Süddeutsche Zeitung

Doping im Radsport:In der Existenzkrise

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Der Report der französischen Anti-Doping-Agentur ist schockierend: Er dokumentiert nicht nur Dopingpraktiken, sondern vor allem eine fahrlässige Haltung des Weltverbands.

Thomas Kistner

Es ist ein Kreuz mit den paar unabhängigen Organisationen, die ständig in die innersten Angelegenheiten des Sports reinfunken. Das kriegt jetzt der Radweltverband UCI zu spüren. Bei der Tour 2009 ließ er offenbar nichts unversucht, um die bedrohlichen Risse im eigenen Gemäuer zu kitten, die 2008 die französische Anti-Doping-Agentur AFLD mit ihrer akribischen Detektivarbeit verursacht hat.

Damals besaß die AFLD erstmals die Alleinzuständigkeit für die Tour-Kontrollen, sie fand ein effektives neues, nicht mal in Apotheken erhältliches Blutdopingmittel: Cera. Ein Zufallsfund beim Führenden Ricco, und nachdem ein Kollege die Nerven verlor und ebenfalls Cera-Konsum beichtete, entwickelte die AFLD ein Testverfahren. Nachträglich fand sie mehr Positive, die Gerolsteiner Schumacher und Kohl, weitere verdächtige Proben wanderten auf Eis.

Nun hat der anfänglich umstrittene Test Serienreife, die AFLD macht weiter - und kompromittiert so die UCI. Die hatte den Pariser Detektiven - mit Hilfe diskretester Drähte zur Tourveranstaltergruppe Amaury - die Regie über die Dopingtests 2009 entrissen. Resultat: Alles super sauber beim furiosen Comeback des alten Helden Lance Armstrong. Na bitte. Ist der Radsport jetzt nicht voll rehabilitiert?

Natürlich nicht, das belegt die AFLD jetzt mit ihrem schockierenden Report zur Tour 2009. Klugerweise veröffentlicht sie diesen vor der Verkündigung der Resultate ihrer Cera-Tests von 2008. Falls da weitere prominente Sünder auftauchen, wie ja zu vermuten ist, stürzen sich die Sportmedien nur noch auf diese klaren Fälle - und ignorieren das Thema, wie die UCI ihr System absichert. Dabei ist das der größere Skandal: Wer so fahrlässig testet, will Dopingfälle offenbar vermeiden.

Der Radsport trudelt immer tiefer in die Existenzkrise. Wieder geht es um Spitzenfahrer, um Spitzenteams, jetzt aber auch um die brisante Frage, was es heißt, wenn ein Verband alles unternimmt, um ein Team zu schützen, dessen Protagonisten die kommerzielle Zukunft der Sportart verkörpern: Astana, Armstrong, Contador.

Neu ist das nicht, nun aber mit der Autorität des Fachorgans beglaubigt. Die Skandalvermeidungspolitik im Radsport nährt den Verdacht, dass es anderswo genauso läuft. Im Sport geht es um alles: Man male sich nur aus, wie ein Sündenfall des weltschnellsten Jamaikaners mit den unglaublichen Temporeserven den Sport erschüttern, ja: zerstören würde. Ob der Sport das wirklich testen will?

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Quelle:
SZ vom 06.10.2009
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