Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Dixie Dörner:Dynamos Lichtgestalt

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Sie nannten ihn "den Beckenbauer des Ostens". Doch der im Alter von nur 70 Jahren verstorbene Dixie Dörner war mehr als das. Er war die vielleicht prägendste Figur des Fußballs eines verschwundenen Landes namens DDR.

Nachruf von Javier Cáceres, Berlin

Fußballer behaupten gern, dass sie auf allen Positionen spielen können - oder da spielen, wo der Trainer sie hinstellt. Doch nur wenige konnten das mit derart soliden Argumenten vortragen wie Hans-Jürgen "Dixie" Dörner: Er konnte nachweislich auf allen Positionen spielen. Als er kurz vor seinem Debüt als A-Nationalspieler der DDR (0:1 gegen Chile) im Jahr 1969 am Juniorenturnier der Uefa teilnahm, wurde er als zweiter Torwart gemeldet.

Auch später, als er sich längst angeschickt hatte, eine Legende der SG Dynamo Dresden und des DDR-Fußballs zu werden, kam das mitunter vor. Richtig groß wurde Dörner freilich nicht als Keeper. Sondern als Libero - eine Position, die ihm der DDR-Auswahltrainer Georg Buschner übertrug, obwohl er seine Zweifel hatte: "Etwas zu klein, nicht kopfballstark genug, mit einem Hang zum Elegant-Lässigen", war die Umschreibung, die Buschner für Dörner fand. Und die jetzt, da er nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist, noch viel absurder klingt, als sie zu Lebzeiten Dörners schon war.

Der "Beckenbauer des Ostens" wurde Dörner genannt, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Joachim Streich als "Gerd Müller der DDR" durchgeht. Als hätten Dörner und Streich nicht mit eigenem Licht gestrahlt. "Beckenbauer des Ostens? Alles Pfeffer", sagte der ehemalige Bundesliga-Trainer Ede Geyer am Mittwoch, kaum, dass die Nachricht vom Tode seines früheren Mannschaftskameraden Dörner bekannt wurde.

Dörner war eine Ausnahmeerscheinung in der DDR

Geyer brauchte seine Zeit, um sie zu verdauen: "Er war eine überragende Persönlichkeit, ein fantastischer Fußballer und ein noch feinerer Mensch." Dörner selbst sagte einmal, dass ihm die Bezeichnung einst geschmeichelt habe, später dann nicht mehr so sehr: "Ich dachte, ich bin ich." Und das war er. Eine Ausnahmeerscheinung des Fußballs in einem verschwundenen Land namens DDR.

Dörner, in Görlitz geboren, feierte sein Debüt in der A-Mannschaft der DDR, ohne ein einziges Oberliga-Spiel bestritten zu haben. Es folgten 558 Pflichtspieleinsätze für Dynamo. Als er 1986 seine Karriere beendete, hatte er überragende Erfolge erzielt. Er hatte 100 Länderspiele absolviert, holte fünf Oberliga-Meistertitel und ebenso viele FDGB-Pokale, wobei jener aus dem Jahr 1982 mit einem Sternchen versehen ist: Dörner war im Finale nicht dabei, was eine Menge von seinem Rang erzählt.

Am Vorabend des Endspiels war er wegen einer roten Karte gesperrt worden, die er für ein Handspiel im gegnerischen Strafraum gesehen hatte - und da das Endspiel gegen den BFC Dynamo ging, war die Hand, mit der Stasi-Chef und BFC-Boss Erich Mielke im Hintergrund die Strippen zog, um die Dresdner zu schwächen, weit entscheidender als jene von Dörner auf dem Rasen. Das Finale gewannen die Dresdner dennoch.

So wie die DDR bei der WM 1974 auch ohne Dörner in Hamburg gegen die BRD siegte, durch das berühmte Sparwasser-Tor. Dörner war nach Gelbsuchterkrankung nicht rechtzeitig fit geworden, um die Weltmeisterschaft zu spielen. Dafür holte er mit der DDR bei den Olympischen Spielen von Montreal 1976 die Goldmedaille, nach einem 3:1-Finalsieg gegen die sagenhafte polnische Elf um Lato, Deyna, Zmuda und Torwart Tomaszewski.

2019 wurde Dörner in die "Hall of Fame des Deutschen Fußballs" aufgenommen, als bislang einziger DDR-Kicker und Symbolfigur eines Teams, "das den attraktivsten Fußball des Landes spielte", wie Geyer findet. Dörner hatte als Stürmer angefangen, doch seine Rolle fand er als Libero. "Es gibt ja viele Fälle, wo offensive Spieler mit dem Alter nach hinten gehen. Aber das war bei Dixie nicht der Fall. Er war ein ästhetischer, offensiv denkender Spieler, der im Grunde das Spiel organisierte wie ein Mittelfeldregisseur, das Spiel wahnsinnig gut lesen konnte, Tore vorbereitete - und selbst schoss", sagt Geyer.

Auch auf europäischer Ebene erspielte sich Dynamo in mythenreichen Duellen einen Ruf, der weit über den Eisernen Vorhang reichte, gegen Ajax Amsterdam, Partizan Belgrad oder den FC Bayern. Dresdens Tiefpunkt war das 3:7 gegen Bayer Uerdingen im Viertelfinale des Pokalsieger-Wettbewerbs. Als drei Jahre später, 1989, die Mauer fiel, wurde Dörner auch zu einem der vielen Beispiele dafür, wie schwer sich der Vereinigungsprozess gestalte. Und auch dafür, wie herablassend im Westen auf den Osten geschaut wurde.

Nach der EM 1996 nahm Dörner das Angebot von Werder Bremen an

Das galt allerdings nicht für Berti Vogts, der im Sommer 1990 Bundestrainer geworden war. Er holte Dörner in sein Trainerteam und lernte einen Menschen kennen, der "zunächst gehemmt und zurückhaltend" wirkte und Schwierigkeiten damit hatte, seine Meinung zu artikulieren. Dass es Dörner dann doch tat, rechnet ihm Vogts bis heute hoch an. Denn in jenen Tagen hätten ihm die alten DDR-Funktionäre penetrant Spieler einsingen wollen.

Dörner aber habe in jenen Tagen "ungemein ehrlich und offen" - und das heißt: unabhängig von den Vorstellungen der Funktionäre aus dem Osten - kommuniziert, wer für das nunmehr gesamtdeutsche Team infrage kam und wer nicht. Dörners einziges Kriterium war der Ball. "Er war fachlich unglaublich. Unglaublich!", sagt Vogts. Doch das bewahrte Dörner nicht davor, 1997 eine Entscheidung zu treffen, die sich als Fehler entpuppte.

Nachdem er 1996 als Assistent seinen Beitrag zu Vogts' EM-Sieg geleistet hatte, nahm Dörner das Cheftrainer-Angebot von Werder Bremen an. "Ich habe ihm gesagt, dass er warten solle. Dass er zwei, drei Jahre im DFB bleiben, eine Nachwuchsmannschaft übernehmen solle", erzählt Vogts. "Aber er sagte: Berti, ich muss Geld verdienen."

Vogts sagt, er habe deshalb abgeraten, weil er dachte, dass Dörner, diesem feinsinnigen Menschen, die Härte fehlen würde, um sich in der Bundesliga und ihrer Medienlandschaft durchzusetzen. Nach einem desaströsen Ausflug nach Teneriffa wurde Dörner im August 1997 vom damaligen Bundesliga-Schlusslicht Werder wieder entlassen. Er sei daran "nicht zerbrochen", hat Dörner später dem kicker gesagt, "doch insgeheim habe ich mich schon gefragt: Warum klingelt bei dir nicht auch das Telefon wie bei anderen?"

Jobs erhielt er danach nur noch bei Mannschaften wie FSV Zwickau, El Ahly Kairo, Lok Leipzig, zuletzt dem Radebeuler BC. Doch es blieb immer die Erinnerung an den Spieler. "Du warst deiner Zeit weit voraus", sagte Matthias Sammer, auch er ein Dresdner, zu Dörners 70. Geburtstag vor knapp einem Jahr: "Pep Guardiola hätte seine Freude an dir gehabt", sagte Sammer, und das dürfte alles andere als gelogen sein.

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