Süddeutsche Zeitung

Dieter Hoeneß im Interview:"Wenn ich einen Raum betrete, bin ich auch da"

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Dieter Hoeneß, der neue Chef beim VfL Wolfsburg, über Manager-Tugenden, Ziele eines Weltkonzerns und BWL in der Metzgerei.

Claudio Catuogno und Ludger Schulze

SZ: Herr Hoeneß, eigentlich wollten Sie jetzt beim Skifahren, beim Golfen in Südafrika oder in Ihrem Atelier sein, um sich Ihrem Hobby Malen zu widmen. So hatten Sie es nach Ihrem Abschied aus Berlin im Sommer angekündigt.

Hoeneß: Bis auf das Malen habe ich alles gemacht. Ich habe die Zeit genutzt, um in vielerlei Hinsicht wieder fit zu werden - Sport zu machen, den Kopf frei zu bekommen, auch banale Dinge zu erledigen wie Vorsorge-Untersuchungen. Das ist auch wichtig, um wieder Gas geben zu können. Nach 13 Jahren als Manager bei Hertha BSC mit Haut und Haaren war es nötig, das Kapitel abzuschließen, um ein neues anzufangen. Ich habe mir fast die geplanten sechs Monate Zeit genommen.

SZ: Sie waren auch beim VfB Stuttgart und beim Hamburger SV im Gespräch. Hat die Liga verstanden, dass sie auf ein Manager-Schwergewicht wie Dieter Hoeneß nicht verzichten sollte?

Hoeneß: Es gab die eine oder andere Option, aber mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich habe mich für den VfL Wolfsburg entschieden, weil dies ein Klub mit enormer Perspektive ist, der bereits über hervorragende Strukturen verfügt, aber auch Gestaltungsspielraum hat. Und durch den Gesellschafter VW sind Mittel vorhanden, um diesen Spielraum zu nutzen. Was die Vereine bewogen hat, an mich heranzutreten, kann ich nicht beurteilen; ich vermute, dass sie gesehen haben, was ich vorher geleistet habe.

SZ: Was der VW-Konzern in Ihnen gesucht hat, wissen Sie doch genauer.

Hoeneß: Es liegt auf der Hand, dass VW mit dem VfL Wolfsburg einiges vorhat. Man will bleibende Strukturen, Nachhaltigkeit. Vielleicht anders als zuletzt, als kurzfristig phantastischer Erfolg da war, dann aber die Strukturen wegbrachen, weil Felix Magath mitsamt seinem Stab zu Schalke 04 gegangen ist.

SZ: Nach der Meisterschaft, die Magath als Teammanager nach englischem Vorbild erreicht hat, mit allen Kompetenzen also, hätte sich dieses Modell auch in der Bundesliga durchsetzen können. Jetzt hat sogar der VfL wieder ganz klassisch einen Manager und einen Trainer.

Hoeneß: Ich will nicht in den Verdacht kommen, Felix Magath diesen großartigen Erfolg streitig zu machen. Aber Fakt ist: Der Erfolg war da, aber die Struktur hat er mitgenommen. Aus Vereinssicht brauche ich jedoch Nachhaltigkeit, das geht mit diesem Modell in Einzelfällen, wenn jemand zehn, zwanzig Jahre im gleichen Klub bleibt wie Alex Ferguson in Manchester. In den meisten Fällen verschlingt es bloß irrsinnig viel Geld, weil man nach jedem Wechsel die Strukturen wieder neu aufbauen muss. Auch das ist der Grund, warum die englische Liga trotz höherer Einnahmen fünfmal so hoch verschuldet ist wie die Bundesliga.

SZ: In den Archiven liest man über Sie immer wieder: Patriarch, Regent, absolutistischer Herrscher. In Wolfsburg treffen Sie auf andere starke Persönlichkeiten: VW-Chef Martin Winterkorn, VfL-Aufsichtsratschef Francisco Garcia Sanz, VW-Weltbetriebsratschef Bernd Osterloh oder auch VW-Kommunikationsdirektor Stephan Grühsem, der nach wie vor als einer der Nachfolger Ihres Bruders Uli beim FC Bayern im Gespräch ist. Zu starke Egos auf zu engem Raum?

Hoeneß: Mit Persönlichkeiten zu arbeiten, war wirklich noch nie mein Problem. Die genannten Personen waren mit ihrer Power und Begeisterungsfähigkeit mit ausschlaggebend für meine Entscheidung. Und vieles ist doch Klischee, jeder hat eben so seine Art. Wenn ich einen Raum betrete, dann bin ich auch da. Die Wahl ist auch deshalb auf mich gefallen. Weil man ein Gesicht für den Verein wollte, jemanden, der wahrgenommen wird und sich durchsetzen kann. Ein Trainer kann das nicht leisten, er hat andere Aufgaben und mit dem Team genug zu tun.

SZ: Derzeit ist Wolfsburg Achter, das ist sicher zu wenig für den Klub. Welche Ziele haben Sie für diese Saison - und welche auf längere Frist?

Hoeneß: Ich bin Realist. So schwer es werden wird: Wir wollen versuchen, die sechs Punkte zum fünften Platz noch aufzuholen. Man wird dazu wohl 58 Punkte brauchen, wir haben jetzt 24, müssen also rund 34 in der Rückrunde machen.

SZ: Der Trainer Armin Veh hatte schon zu Beginn der Saison gesagt, Platz fünf wäre ein Erfolg. Das galt vielen als unambitioniert; VW hat den Anspruch, in der Champions League zu spielen. Liegt in diesen - durch die Meisterschaft hochgeschraubten - Erwartungen der Konflikt der Zukunft beim VfL?

Hoeneß: Das sehe ich nicht. Es ist sicher wichtig, zu verstehen, dass die VW-Leute, die hier ja nicht nur Geld, sondern auch Engagement investieren, Erwartungen haben. Die muss man in ein richtiges Verhältnis setzen. Im Moment sage ich: Das Erreichen der Europa League wäre ein tolles Ergebnis. Unser Ziel muss es sein, dauerhaft in der Spitzengruppe zu spielen, also unter den ersten Sechs.

SZ: Sie sind beim VfL Vorsitzender der Geschäftsführung - was heißt das konkret? Wer entscheidet über Transfers?

Hoeneß: Die Geschäftsführung. Wenn der Trainer deren Mitglied ist, wie Armin Veh in Wolfsburg, ist er da sowieso dabei. Aber unabhängig davon ist es logisch, dass man die Personalplanung engstmöglich mit dem Trainer abstimmt. Wenn es unterschiedliche Auffassungen gibt, muss man die ausdiskutieren.

SZ: Und wer hat das letzte Wort, wenn es darum geht, den Trainer zu entlassen?

Hoeneß: Darüber werde ich mir im Moment sicher keine Gedanken machen.

SZ: Bei Hertha sind Sie jahrelang 20 Minuten vor Schluss von der Tribüne auf die Bank gewechselt. Ein "albernes Ritual", wie der Spiegel fand. Droht Armin Veh jetzt auch der Sitznachbar Hoeneß?

Hoeneß: Zuletzt saß ich in Berlin auf der Tribüne. Und albern oder nicht: Es hat ja keinem geschadet. In Wolfsburg wollte ich eigentlich auf der Tribüne sitzen, der Armin hätte mich aber gerne an seiner Seite. Also mache ich das.

SZ: Ein Satz von Armin Veh hängt in der Luft aus der Phase, als die Verhandlungen mit Ihnen noch hinter seinem Rücken liefen: Würde man Sie holen, sagte Veh, hätte er "die Hose unten". Wie ziehen Sie ihm die Hose wieder hoch?

Hoeneß: Das haben wir schon geschafft. Es war mir wichtig, bevor ich zusage, mit ihm ein persönliches Gespräch zu führen. Um zu klären, dass von einer Beschädigung seiner Person keine Rede sein kann. Zumal Armin Veh ja schon früh zum Aufsichtsrats-Chef Garcia Sanz gesagt hatte: Auf Sicht gesehen müssen wir jemanden holen, der mir in der Geschäftsführung den Rücken frei hält. Er hatte nur ein Problem mit dem Zeitpunkt: Wenn du nicht genug Punkte hast, wirkt das immer wie eine Demontage. Diesen Zahn wollte ich ihm ziehen - die Frage ist, wie wir das darstellen, und wie wir dann zusammenarbeiten.

SZ: Letzte Woche wurden Sie bereits in Italien gesehen. Um den Stürmer Edin Dzeko an den AC Milan verkaufen? Oder um einen Verteidiger zu verpflichten?

Hoeneß: Wir haben in der Hinrunde 32 Gegentore bekommen, da kannst du vorne machen, was du willst, du wirst auf keinen grünen Zweig kommen. Wir werden deshalb auf jeden Fall versuchen, noch einen guten Abwehrspieler zu holen...

SZ: Aus Italien?

Hoeneß: Vielleicht auch aus Italien.

SZ: Wenn Sie uns dann netterweise noch den Namen verraten würden ...

Hoeneß: Ich habe in Italien Hausaufgaben gemacht. Dazu gehört, dass man auch mal das ein oder andere Spiel sieht. Weil die Liga dort durchspielt, bin ich halt nach Italien gereist. Wir werden aber keinen Spieler von den Vereinen verpflichten, die ich dort gesehen habe.

SZ: Sondern, wie auch spekuliert, Rafinha und Höwedes aus Schalke?

Hoeneß: Zu Spekulationen nehme ich grundsätzlich keine Stellung. Aber was Edin Dzeko angeht: Die Verantwortlichen des AC Mailand habe ich in Italien zufälligerweise auf der Tribüne getroffen, die kenne ich ja schon seit der Verpflichtung von Giovane Elber beim VfB Stuttgart. Dass Milan den Edin Dzeko gerne kaufen würde, ist bekannt, es ist aber auch bekannt, dass es da eine klare Vereinbarung gibt, unter welchen Bedingungen er im Sommer gehen kann.

SZ: Wobei die Berichte über die festgeschriebene Ablösesumme zwischen 20 und 40 Millionen Euro schwanken.

Hoeneß: 20 sind jedenfalls deutlich zu niedrig. Ich bin da also entspannt. Natürlich würde ich einen Weltklasse-Stürmer wie Dzeko gerne behalten, aber wenn er geht, sind wieder finanzielle Spielräume da. Um das den Herren vom AC Mailand zu sagen, musste ich aber nicht nach Italien reisen, das wussten die schon.

SZ: Milan ist seit Kindestagen Dzekos Traumverein. Spieler zum VfL in die niedersächsische Provinz zu holen, heißt es, sei nicht ganz so einfach.

Hoeneß: Als ich sechs Jahre nach der Wende nach Berlin ging, wussten viele Spieler auch noch nicht, ob das nun Ost- oder West-Deutschland ist. Auch Sebastian Deisler musste ich damals erst mal zeigen, wie schön Berlin ist.

SZ: Sie sind stundenlang mit ihm durch den Grunewald gefahren. Bis sein Berater fragte, ob Deisler als Förster bei Hertha anfangen soll.

Hoeneß: Offensichtlich hat diese Stadtrundfahrt aber geholfen, dass er sich nicht für den FC Bayern, sondern für Hertha entschieden hat. Jeder Spieler will sportlichen Erfolg, jeder will gutes Geld verdienen. Beide Voraussetzungen können wir in Wolfsburg bieten. Die Rahmenbedingungen sind erstklassig, und unsere Ansprüche steigen weiter. Natürlich hat der VfL nicht den Namen wie Bayern, Schalke oder der HSV - noch nicht. Aber mit der Meisterschaft hat er ein deutliches Zeichen gesetzt.

SZ: Gehobene Ansprüche kennen Sie gut. 1999 waren Sie mit Hertha unter den letzten Acht der Champions League. Schön, aber auch fatal. Damals wurden in Berlin Erwartungen geweckt, die später nie mehr erfüllt werden konnten.

Hoeneß: Die Champions League kam sicher zu früh. Die Erwartungen waren dann kaum mehr mit der Realität in Einklang zu bringen. Das war in Berlin der permanente Kraftakt. Der ist aber ganz gut gelungen - vor allem, wenn man bedenkt, wo Hertha herkam. Alles musste ja aus eigener Kraft entwickelt werden. Ich will das nicht zu sehr strapazieren...

SZ:...etwa die berühmte "alte Schreibmaschine", die sie bei Ihrem Amtsantritt vorgefunden haben.

Hoeneß: Die Schreibmaschine lassen wir heute mal weg. Aber in zwölf Jahren Bundesliga acht Mal international dabei zu sein, das war für einen Klub, der vorher auch national keine Rolle gespielt hatte, schon ein gutes Ergebnis.

SZ: Als Sie Hertha im Sommer vorzeitig verlassen mussten, im Streit mit Präsident Werner Gegenbauer, war der Klub Vierter. Die Begeisterung war erstaunlich, gegen den VfL Bochum kamen 70000 Menschen. Wie sehen Sie die jetzige Entwicklung in Berlin?

Hoeneß: Es war immer mein Ziel, Hertha in bestmöglichem Zustand zu übergeben. In den letzten Jahren war es uns gelungen, den Schuldenstand fast zu halbieren, parallel zu einem sportlichen Aufschwung. Die Stimmung in Berlin war phantastisch, die Stadt hat gebrannt für Hertha wie seit dem Aufstieg nicht mehr. Zur jetzigen Entwicklung will ich nichts sagen. Öffentliche Aufarbeitungen vorzunehmen, bringt nichts.

SZ: Dennoch: Was würde es für Sie bedeuten, wenn die Hertha im Sommer zurück in die zweite Liga muss?

Hoeneß: Wie gesagt: Ich bin jetzt Manager beim VfL Wolfsburg.

SZ: Versuchen wir es so: Ihr Nachfolger Michael Preetz wurde vom Hertha-Präsidenten mithilfe eines Assessment Centers auf seine Führungstauglichkeit hin geprüft. Sie entscheiden - ähnlich wie Ihr Bruder - mehr aus dem Bauch heraus. Wie altmodisch!

Hoeneß: In der Wirtschaft ist so ein Assessment Center schon ein sinnvolles Verfahren, vor allem bei Leuten, die von außen kommen. Die man nicht kennt.

SZ: Michael Preetz war bei Hertha BSC seit mehr als zehn Jahren bekannt.

Hoeneß: Ich möchte diese Details wirklich nicht kommentieren. Ich habe mich bei Hertha aus der Frage, mit welchen Verfahren man meine Nachfolge regelt, bewusst immer rausgehalten.

SZ: Ihr Bruder Uli hatte als Bayern-Manager 29 Dienstjahre auf dem Buckel, ehe er ins Präsidenten-Amt wechselte. Sie sind nun fast 18 Jahre im Geschäft. Elf bräuchten Sie noch, um ihn einzuholen. Das wäre dann die Rente mit 68.

Hoeneß: Das ist nicht das Ziel. Mein Vertrag mit dem VfL wird bis zum 30. Juni 2013 laufen, also dreieinhalb Jahre. Jetzt darüber hinaus zu denken, ergibt aus meiner Sicht keinen Sinn.

SZ: Etwas scheint die Familie Hoeneß resistent zu machen gegen den Trend, dass sich immer mehr Klubs von smarten Jungmanagern leiten lassen. Jan Schindelmeiser in Hoffenheim, Martin Bader in Nürnberg...

Hoeneß: Die Genannten werden ja auch mal 15 oder 20 Jahre auf dem Buckel haben. Ich glaube, wir sehen derzeit einen Generationswechsel mit den Abschieden von Assauer, Calmund, Uli Hoeneß. Das ist ein Prozess, kein Trend.

SZ: Es ist auch eine Typenfrage. Die Vermarkter mit BWL-Abschluss werden wichtiger.

Hoeneß: Na ja. BWL lernt man im Leben. Uli und ich kommen aus einer kleinen Stadtteilmetzgerei, in der musste man kämpfen, damit man ordentlich leben konnte. Da ist dir täglich vorgeführt worden, wie du Verhandlungen führen musst. Das ist mehr wert als 15 Semester BWL, die man nicht richtig einsetzt.

SZ: Sie wollten nach Ihrer aktiven Karriere nicht sofort Manager werden.

Hoeneß: Weil ich mich damals nicht bereit gefühlt habe. Ich habe erst praktische Berufserfahrungen bei Commodore (ein Computer-Unternehmen; d. Red.) gesammelt, dann habe ich mit Manni Müller (ehemaliger Torwart des FC Bayern) zusammen TV-Produktionen gemacht. Das Spektrum, das ich abgedeckt habe, ist riesengroß. Das hat mich geprägt.

SZ: VW-Chef Winterkorn ist auch Aufsichtsratsmitglied beim FC Bayern und ein Vertrauter Ihres Bruders. Hat diese Beziehung bei Ihrer Verpflichtung eine Rolle gespielt?

Hoeneß: Definitiv nicht. Als der Kontakt hergestellt wurde, hat der Uli das zunächst nicht erfahren. Es gibt Dinge, die man erst mal für sich behält. Als es dann konkret wurde: Da tausche ich mich mit dem Uli natürlich aus.

SZ: Sie waren auch als Nachfolger Ihres Bruders beim FC Bayern im Gespräch. Wäre das nicht die Gelegenheit gewesen, in Ihre Lieblingsstadt München zurückzukehren?

Hoeneß: Aktuell war das kein Thema. Vor fünf Jahren habe ich mich damit auseinandergesetzt, damals habe ich geschwankt, und es wäre verlockend gewesen. Uli wollte ja ursprünglich schon 2006 aufhören und hat das Thema an mich herangetragen. Aber ich habe mich dann für einen erneuten Fünf-Jahres-Vertrag bei Hertha entschieden, weil der Klub in einer kritischen wirtschaftlichen Phase war und ich ihn nicht so hinterlassen wollte. Und noch aus einem weiteren Grund: Ich habe überlegt, ob es überhaupt möglich ist, aus dem Schatten von Uli beim FC Bayern herauszutreten, der den Verein geprägt hat wie kein Zweiter. Das ist jetzt ja auch die große Herausforderung für Christian Nerlinger.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2010
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