Süddeutsche Zeitung

DFB-Team vor dem Spiel gegen Italien:Erleuchtet von päpstlicher Aura

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Von Philipp Selldorf, Mailand

Dort, wo an Ostern der Papst den Segen Urbi et Orbi spricht, dort haben am Sonntagnachmittag die deutschen Nationalspieler einen interessierten Blick auf den Petersplatz geworfen. Aus dem Fenster, auf das die katholische Welt zu schauen pflegt, schauten in diesem Moment ein paar junge Fußballer, die das Glück hatten, an einer der ungewöhnlichsten Dienstreisen teilnehmen zu dürfen, die der DFB jemals anberaumt hat.

Die famose Aussicht an einem quasi geweihten Ort war nur eines von vielen Privilegien und Erlebnissen, das den Spielern der Nationalmannschaft auf dem Abstecher nach Rom zwischen der Pflichtübung in San Marino und dem Treffen mit Italien in Mailand haben sammeln können. Im Programmheft des DFB-Büros firmierte der Ausflug in die Hauptstadt samt Besuch im Kirchenstaat unter dem profanen Titel Teambuilding, aber was sich dahinter verbarg, das lässt alle einschlägig bekannten Teambuilding-Aktivitäten der Profiklubs von Rafting bis Bungee-Jumping und Biwak-Zelten auf dem Gletschergipfel ziemlich klein aussehen.

Zum Beispiel stand den Fußballprofis für den Ausflug in den Vatikan in Gestalt des Erzbischofs und Präfekten des päpstlichen Hauses Georg Gänswein der denkbar kundigste Reiseführer zur Seite. Auf dem Rundgang öffneten sich Türen, die gewöhnlichen Gläubigen üblicherweise verschlossen bleiben, und am nächsten Tag empfing dann auch der Hausherr höchstpersönlich die deutsche Delegation zur zwanzig Minuten währenden Privataudienz.

Was soll man dazu sagen, wenn einem so viel Schönes wird beschert? "Ja gut", sagte Mats Hummels, "der Papstbesuch war, wenig überraschend, sehr beeindruckend. Etwas, das man vermutlich nur einmal im Leben hat und nie vergessen wird. Eine fast unwirkliche Begegnung." Wenn ein erfahrener Mann wie Hummels so spricht, was mag dann den jungen Hüpfern namens Meyer, Gerhardt, Tah oder Henrichs durch den Kopf gegangen sein?

Diese das EM-Jahr abschließende Dienstreise, die im dauerberegneten Zwergstaat San Marino so lästig und ungemütlich begann, um anschließend in kulturelle Höhen und geistliche Sphären aufzubrechen, hatte mit dem klassischen Muster des Länderspieldoppels im Spätherbst wenig zu tun. Es war eine Event-Tour nach Weltmeister-Art, und der Fußball, so konnte man meinen, musste für die Spieler zur Nebensache geraten. Auch dem Bundestrainer schien es am Montagnachmittag im Teamhotel in Mailand zunächst nicht leicht zu fallen, auf das anstehende Länderspiel umzuleiten.

Löw schwärmte vom "außergewöhnlichen Schönen" und von den "schönen Minuten", die der Besuch bei seiner Heiligkeit vermittelt habe, und von der Aura des Papstes Franziskus sprach er, als sei er soeben erleuchtet worden ("mit seinen Worten hat er uns alle erreicht").

Andererseits war ihm schon bewusst, dass die existenziellen Fragen jetzt wieder die Wahl zwischen Dreier- und Viererkette betreffen. Joachim Löw hat wenig Substanzielles über seine Pläne für diese nächste Begegnung mit dem alten und nurmehr vormaligen Angstgegner Italien mitteilen können, aber es kam schon zum Ausdruck, dass er den Eindruck vermeiden möchte, die Testspiel- zur Tourismusreise umfunktioniert zu haben. Die Seriosität, die seine Mannschaft gegen San Marino an den Tag legte, indem sie das Toreschießen auch dann nicht einstellte, als der Sieg doppelt und dreifach gesichert war, soll auch am Dienstagabend in San Siro die Richtlinie bilden.

In der ehrwürdigen Arena wird Löw wieder eine Elf aufbieten, die den Stempel des Experiments trägt. In der Abwesenheit etablierter Größen wie Özil, Kroos, Khedira, Boateng und Neuer schöpft der Bundestrainer aus der Tiefe seines Talentreservoirs, das in Italien neidvoll bestaunt wird. Der Wolfsburger Yannick Gerhardt etwa wird seinen vormaligen Kölner Mannschaftskollegen Jonas Hector auf der linken Seite vertreten, und im Mittelfeld-Zentrum ist mit dem Einsatz des Schalkers Leon Goretzka zu rechnen, von dem Löw zwar noch nicht weiß, wie er ihn neben all den Koryphäen dauerhaft verwenden will, von dem er aber eine ganze Menge zu halten scheint.

"Er ist schon ein Spieler, der in diesen Jahrgängen einer der talentiertesten ist. Er hat eine sehr gute Technik, viel Tempo mit und ohne Ball, und er ist in der persönlichen Entwicklung sehr weit, macht einen sehr guten Eindruck. Bei Schalke hat er sich in dieser Saison sehr gut in Szene setzen können."

Bernd Leno wird im Tor stehen, Benedikt Höwedes mit Mats Hummels die Innenverteidigung bilden, so viel hat der Commissario Tecnico Löw außerdem verraten. Über weitere Details des Matchplans müsse er sich nach dem Abschlusstraining Gedanken machen, sagte der Coach und wirkte dabei einerseits noch ganz weit weg vom dienstlichen Alltag und andererseits auch äußerst unbesorgt. Selten hat wohl der Länderspielklassiker gegen Italien sportlich so sehr im Hintergrund gestanden wie dieser.

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SZ vom 15.11.2016
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