Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalmannschaft:Sonderlob für drei Sternchen

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Die Erkenntnisse aus dem 1:0 gegen Tschechien: Ridle Baku und Philipp Max dürfen mit weiteren Einsätzen liebäugeln - für Florian Neuhaus ist die Lage komplizierter.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Philipp Max hatte keine Zeit, um schüchtern zu sein. Der 27-Jährige hat schließlich schon viele Jahre darauf gewartet, sich in der Nationalmannschaft zu präsentieren, so viele, dass er die Gelegenheit jetzt nicht mit Zurückhaltung vertrödelte. Also flankte der Mann vom PSV Eindhoven gegen Tschechien mit vollem Selbstbewusstsein von der linken Seite, meistens flach und scharf, schon nach 13 Minuten hatte er so Luca Waldschmidt das 1:0 aufgelegt. Und als er nach 69 Minuten vom Platz ging, konnte man auf den Gedanken kommen: Es gibt viele Spieler, die mal aufblitzen in solchen Spielen, aber wie Sternschnuppen schnell wieder verglühen. Und es gibt solche, deren Leuchtkraft den Abpfiff und vielleicht noch ein paar mehr Spiele überdauert. Max war einer, der strahlte.

Und das war dann schon ein Erkenntnisgewinn, der größer war als die Erwartungen an diese Partie: Die Sinnfrage hat die deutsche Nationalmannschaft in diesem Herbst immer wieder getroffen, wenn über Testspiele wie jenes gegen Tschechien debattiert wurde; vom Einspielen einer Mannschaft für die EM im kommenden Jahr konnte keine Rede sein, es gab ja schlicht keine deutsche Mannschaft, die fix in derselben Zusammensetzung aufeinandertraf. Die einen mussten wegen des Spielkalenders geschont werden, die anderen sich aufgrund von Corona-Quarantänen vom Team fernhalten.

"Wir werden in dieser Konstellation wohl nie wieder zusammenspielen", sagte Joachim Löw nach dem 1:0 (1:0) in Leipzig am Mittwochabend. Was nicht heißen sollte, dass sich niemand empfohlen hätte: Den beiden Debütanten Max und Ridle Baku attestierte der Bundestrainer einen "mutigen" Auftritt, auch Florian Neuhaus bekam in seinem zweiten Länderspiel Sonderlob ab. Allein, was bringt das jetzt für die Zukunft? Ihre Chancen im deutschen Team fallen unterschiedlich aus, was mehr an der Konkurrenz in der Nationalmannschaft als an ihrem Talent liegt.

Löw ist ebenso angetan von Ridle Baku

Wie selbstsicher Max nach der Partie vor die Kameras trat, konnte schon erkennen lassen, dass da einer zufrieden mit sich war. "Ich bin sehr, sehr froh, glücklich und stolz, dass ich heute mein erstes Länderspiel machen durfte", sagte er bei RTL. Als Außenverteidiger besetzt er eine Position, die seit Jahren als Baustelle im deutschen Team gilt. Gäbe es eine klassische Berufsberatung für Profifußballer, würde man wohl vielen ambitionierten Jugendfußballern empfehlen: Werdet Außenverteidiger, da sind die Karrierechancen am größten.

Mit Max auf der linken Seite und dem erst 22 Jahre alten Wolfsburger Ridle Baku auf der rechten hat Löw zwei Spieler gesichtet, die beide "sehr intensiv" gespielt hätten, "viele Räume überbrückt, mit dynamischen Läufen". Baku flitzte die Außenbahn druckvoll nach vorne, dribbelte sehenswert, leistete sich in der Abwehr aber auch einen Fehlpass, der zum Ausgleich hätte führen können. "Fehler passieren, der Ridle hat sich wieder geschüttelt und dann ging es weiter", sagte Löw und war angetan.

Nach dem Karriereende von Parade-Spieler Philipp Lahm wurde Joshua Kimmich auf der rechten Seite berühmt, doch weil seine Fähigkeiten auch im Mittelfeld vonnützen sind, ist die Stelle noch nicht fix vergeben. Lukas Klostermann (Leipzig) hat da seine Einsätze, spielt im Verein aber hauptsächlich in der Innenverteidigung, gleiches gilt für Gladbachs Matthias Ginter, Thilo Kehrer bekommt in Paris und bei Löw seine Spielminuten. Auf der linken Seite teilen sich im wesentlichen Benjamin Henrichs, Marcel Halstenberg (beide Leipzig) und Robin Gosens (Bergamo) die Spielzeiten, die gesetzte Stammkraft gibt es nicht.

Eine Lage, die es zumindest zulässt, dass Max und Baku mit weiteren Einsätzen liebäugeln können, auch wenn ihre Defensivfähigkeiten gegen Tschechien nicht allzu sehr auf die Probe gestellt werden konnten.

Florian Neuhaus braucht da schon mehr Optimismus, er hat sich schlichtweg die Position mit den größten Fähigkeiten im deutschen Team ausgesucht: Im Mittelfeld hat Löw mit all den Kimmichs, Kroos und Goretzkas Luxusprobleme, wenn alle fit und gesund sind. Trotzdem konnte der Gladbacher Neuhaus in seinen ersten beiden Länderspielen mit einem Treffer (gegen die Türkei) und sehenswerten Vorstößen (gegen Tschechien) auf sich aufmerksam machen.

"Das war heute für jeden Einzelnen ein Spiel, wo er sich in Szene setzen konnte, dass er echte Ansprüche anmeldet", sagte Löw und für Neuhaus galt das trotz aller Konkurrenz. "Das haben wir alle gesehen heute, dass er eine hohe Spielintelligenz besitzt und eine sehr gute Technik", sagte Löw, "er findet immer irgendwie auch gute Lösungen".

In den kommenden Nations-League-Spielen am Samstag gegen die Ukraine und am Dienstag gegen Spanien wird der 60-Jährige auf erfahrenere Spieler zurückgreifen, weniger durchprobieren. "Einspielen ist jetzt auch mal ein wichtiges Thema", sagte er noch. In sieben Monaten soll die EM angepfiffen werden - im Idealfall mit ein paar Sternchen im Kader.

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