Süddeutsche Zeitung

Bayern im DFB-Pokal:Kurz vorm Paradieszustand

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Von Carsten Scheele, Leverkusen

Karl-Heinz Rummenigge liebt schöne Sätze. Für Franz Beckenbauer hat er einmal ein Gedicht verfasst (oder zumindest Teile davon) und es live auf einer Jahreshauptversammlung vorgetragen - ein legendärer Moment der Vereinsgeschichte. Am Dienstagabend war der Vorstandsboss vom 6:2 (2:1) im DFB-Pokal-Halbfinale bei Bayer Leverkusen dann so angetan, dass ihm wieder ganz pathetisch ums Herz wurde. "Ein Fan des FC Bayern zu sein, ist momentan ein Paradieszustand", schwelgte Rummenigge. Danach eine Kunstpause. Rummenigge war zufrieden.

Viel besser als die Bayern hatte eine deutsche Fußballmannschaft in der Offensive selten gespielt, das war es ja, was Rummenigge meinte. Dabei hatte manch einer gehofft, dass sich die Münchner auf dem Weg zum zweiten Triple im Pokalwettbewerb mit eben jenen Leverkusenern, die den aktuell wohl zweitschönsten Fußball des Landes spielen, wenigstens auf Augenhöhe messen. Am Ende sahen sich doch wieder nur jene bestärkt, die die Münchner aus Gründen der Chancengleichheit am liebsten aus allen nationalen Fußballwettbewerben ausschließen würden. Denn die Bayern bewiesen, dass zwischen der besten und zweitbesten Mannschaft leider immer noch Welten liegen.

Genau genommen: vier Tore. Denn Leverkusen hatte mutig gespielt, über 50 Minuten richtig gut mitgehalten, eine stattliche Anzahl an eigene Chancen erspielt - und eben doch 2:6 den Hintern versohlt bekommen. Er müsse es "offen und ehrlich" sagen, fuhr Rummenigge fort, "das war eine Demonstration." Die Mannschaft habe sich "mehr als verdient nach Berlin gespielt", wo am 19. Mai das Pokalfinale stattfindet.

Wieder nach Berlin, dieser Umstand ist den Bayern schon wichtig, wobei: Von den beiden verbleibenden Titelmöglichkeiten (nach der längst gewonnenen Meisterschaft) ist den Münchnern der Pokalsieg nur die zweitliebste. Die größere Sehnsucht herrscht nach dem dritten Gewinn der Champions League, nach 2001 und 2013. Da war das Leverkusen-Spiel eine gute Gelegenheit, zu zeigen, wie ernst es den Spielern vor den beiden Halbfinal-Duellen mit Real Madrid in der Königsklasse ist, wenn sich vorentscheidet, ob es für die Bayern eine sehr gute oder eine herausragende Spielzeit wird.

Und es ist ihnen sehr ernst. Anders sind die ersten zehn Minuten gegen Leverkusen kaum zu erklären, in denen die Bayern wie angestachelt loslegten, durch zwei Tore von Robert Lewandowski (3., 9. Minute) fix in Führung gingen. Anders sind auch die Ereignisse ab Minute 52 kaum zu erklären, als die Bayern den Spielstand binnen nur zwölf Minuten von 2:1 auf 5:1 stellten. Zunächst hatte Thomas Müller den ersten seiner drei Treffer erzielt (52., 64., 78.), dann Thiago (61.), schließlich lenkte wiederum Müller einen Ball von Arjen Robben ins Tor, weil er nicht mehr aus der Schussbahn springen konnte.

Das sah genauso leicht aus, wie die Spieler anschließend sagten. Man habe "einfach zwei-drei Spielzüge rausgehauen", erklärte Müller nonchalant, als sei eine solche Fabelviertelstunde für Angestellte des FC Bayern jederzeit abrufbar. Macht Leverkusen zwei Tore, machten die Bayern eben sechs. Hätte Leverkusen viermal getroffen, hätten die Bayern vermutlich am Ende bei acht gestanden.

Nicht verheimlich werden soll, dass die Münchner zwischendurch defensiv ihre Problemchen hatten. Beim Anschlusstor von Sven Bender (16.) schwamm die WM-Innenverteidigung um Mats Hummels und Jérôme Boateng ordentlich, anschließend war es Torwart Sven Ulreich zu verdanken, dass die Führung bis zur Pause bestand hielt, als er überragend gegen Kevin Volland und Karim Bellarabi parierte. Zu Beginn der zweiten Halbzeit hinderte Ulreich die Bälle dann teilweise im Sekundentakt am Übertreten seiner Torlinie. Doch dann betätigten die Bayern die Gangschaltung, und Leverkusen flog auseinander.

"Das ist der Charakter dieser Mannschaft", lobte Robben sich selbst und seine Mitspieler. Auch Trainer Jupp Heynckes, der den hohen Sieg auffallend nüchtern einordnete, erklärte: "Mein Credo ist: Wenn wir führen, setzten wir trotzdem nach." Überhaupt beobachte er in seiner Mannschaft aktuell "nur Team-Player, keine Ich-AGs". Wer gesehen hatte, wie Robben, Lewandowski oder auch Ribéry nach hinten gearbeitete hatten, wie die Spieler bei hoher Führung ihre Laufwege machten, mochte ihm kaum widersprechen.

Nach dem Bundesligaspiel am Wochenende in Hannover (wenn Heynckes stark rotieren wird), steht am kommenden Mittwoch das Hinspiel gegen Real Madrid an. Dann müssen die Bayern zeigen, dass sie auch auf noch einer Stufe höher funktionieren, wenn der gegnerische Stürmer nicht Volland oder Bellarabi, sondern Cristiano Ronaldo heißt. "Der Hunger ist noch ein bisschen größer geworden", versprach Müller. Einen Satz hatte sich auch Rummenigge aufgespart: "Wenn Real im Moment jemand schlagen kann, dann der FC Bayern."

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