Süddeutsche Zeitung

DFB-Kader:Kein Grund, radikal zu werden

Lesezeit: 3 min

Von Christof Kneer

Im deutschen Fußball gibt es die populäre Theorie, dass der WM-Titel 2014 nicht nur in Rio de Janeiro gewonnen wurde, sondern auch in der schwedischen Stadt Malmö. Folgt man dieser Theorie, dann gab es neben dem richtigen Finale noch ein weiteres Finale. Das richtige Finale kam am 13. Juli 2014 im legendären Maracanã-Stadion zur Aufführung, die ganze Welt schaute zu und erinnert sich mit Ausnahme von Christoph Kramer immer noch daran.

Das andere Finale wurde am 29. Juni 2009 im nicht legendären Svedbank-Stadion ausgetragen, es schauten ein paar Schweden zu sowie Unmengen internationaler Scouts. Im Endspiel dieser U21-Europameisterschaft besiegte die deutsche Elf die Auswahl aus England 4:0, es war ein Ergebnis, das um kein Tor zu hoch ausfiel.

Löw ist "beeindruckt" von Gündogan und Badstuber

Das Tor dieser deutschen Elf hütete ein Talent namens Manuel Neuer, vor ihm wachten Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes und Mats Hummels, junge Verteidiger, die unmöglich wissen konnten, dass sie fünf Jahre später unter dem Fachbegriff "Ochsen-Abwehr" eine Erwachsenen-WM prägen würden. Vor den Jungochsen schuftete Sami Khedira, vor Sami Khedira tänzelte Mesut Özil.

Vor Özil stürmte übrigens Sandro Wagner, aber der spielt in der populären Theorie keine Rolle. Sandro Wagner im Nationaltrikot, das blieb ein Versehen.

Man muss diese fünfeinhalb Jahre alte Geschichte kennen, um jenes Aufgebot wirklich zu verstehen, das Bundestrainer Löw gerade herausgebracht hat. Vor einer Woche erst hat Joachim Löw seinen Vertrag bis 2018 verlängert, das war ein mächtiges Signal in Richtung Zukunft, aber wer nun den Kader für die beiden Länderspiele gegen Australien (25.3., Test) und Georgien (29.3., EM-Qualifikation) auf ähnliche Signale absuchte, der suchte vergebens.

Löw hat demonstrativ keine neuen 18-Jährigen eingeladen, dafür 16 Weltmeister sowie erwartungsgemäß die Nicht-Weltmeister Holger Badstuber und Ilkay Gündogan, die das Turnier in Brasilien wegen eines schadhaften Knies bzw. Rückens verpasst hatten. Es habe ihn "bewegt, Holger und Ilkay wieder am Ball zu sehen", ließ Löw via DFB-Mail gerührt ausrichten, und er sei "beeindruckt davon, wie schnell sie wieder hohes Niveau erreicht haben".

Letzteres sagte er aus guten Gründen nicht über Lukas Podolski, den er aber ebenfalls in sein Aufgebot holte, trotz eines Reservistendaseins bei Inter Mailand, das ein Reservistendasein beim FC Arsenal abgelöst hat.

"Ich denke, dass Lukas auch mal unsere Unterstützung benötigt, die hat er sich verdient", sagt Löw. Möglich ist aber auch, dass Podolski inzwischen einfach zur Reise-Delegation gehört, wie Präsident Niersbach oder der Busfahrer Hochfellner.

Die Botschaft von Löws Aufgebot lautet: Es gibt keinen Grund, radikal zu werden. Es kann gut sein, dass er Spieler wie Podolski oder den Torwart Weidenfeller vor der EM 2016 noch in den DFB-Ruhestand schicken muss, aber er muss das ja nicht heute schon machen. Aktuell haben sie beim DFB erst mal den Plan gefasst, die Geschichte von 2009 noch mal nachzuspielen. Sami Khedira erzählt ja gern, wie er damals bei der U21-EM in Schweden zum Mann geworden ist, wie er lernen musste, interne Widerstände zu brechen und ein Team zu führen.

Mindestens ein halbes Dutzend der Weltmeister von 2014 haben 2009 ihre erste Lektion in Wettbewerbshärte gelernt, und praktischerweise hat sich der aktuelle deutsche U21-Jahrgang in diesem Sommer wieder für ein EM-Turnier qualifiziert. Vom 17. bis 30. Juni begegnen sich die acht besten Juniorenteams in Tschechien, und U21-Trainer Horst Hrubesch hat von Löw bereits umfassende Kompetenzen erhalten.

Löw verzichtet auf interessante Spieler - aus guten Gründen

"Ich habe mich mit Jogi Löw schon klar abgestimmt", sagte Hrubesch am Freitag, "und die Grundsatzentscheidung lautet: Wen ich nominieren will, den kann ich auch nominieren. Wir waren uns einig, dass es für die Entwicklung junger Spieler am wichtigsten ist, in einer Turniersituation Verantwortung zu übernehmen."

Was Hrubesch nicht sagt, aber meint: Eine Teilnahme bei der U21-EM könnte demnach auch wichtiger sein als ein Einsatz beim parallel platzierten EM-Qualifikationsspiel in Gibraltar am 13. Juni, bei dem allenfalls die Frage ist, ob es 0:3 oder 1:7 endet. Spieler wie die bereits A-Elf-erprobten Matthias Ginter, Kevin Volland, Erik Durm, Antonio Rüdiger, Max Meyer oder Torhüter Marc-André ter Stegen sollen in diesem Sommer lieber Anführer in der kleinen Nationalmannschaft sein als Mitläufer in der großen.

Auch deshalb hat Löw im aktuellen Aufgebot darauf verzichtet, Spieler einzubestellen, die ihn interessieren, den ehemaligen Münchner Emre Can etwa, der beim FC Liverpool überraschend unverzichtbar ist, oder den Mainzer Johannes Geis. Warum soll er sie jetzt holen, wenn sie im Sommer doch ohnehin bei Horst Hrubesch spielen?

Die U21 hat jetzt auch zwei Testspiele vor sich, gegen Italien und England, im Rahmen dieser Spiele wird Hrubesch seine Talente auf den Sommer einstimmen. Er wird ihnen sagen, "dass wir das Ziel klar definiert haben: Wir haben die Qualität, wir wollen Europameister werden".

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SZ vom 21.03.2015
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