Süddeutsche Zeitung

DFB:Der Putsch gegen die Ethiker

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Nach der Sprengung der DFB-Ethikkommission durch die Verbandsspitze um Rainer Koch ist die Empörung groß. Zugleich wächst der Verdacht, dass Funktionäre mit schmutzigen Tricks beeinflusst wurden.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt

Die Dauerkrise beim Deutschen Fußball-Bund steht vor der Eskalation. Auch den jüngsten Eklat um die Ethik-Kommission umgibt ein Gestrüpp aus Täuschung, Tricks und Irreführungen; diesmal wurden Präsidiumsmitglieder aus Amateur- und Profilager nach Lage der Dinge offenkundig falsch informiert. Nun zweifeln sie ihre eigene Entscheidung an. Die neue Affäre ist wie geschaffen für, nun ja - eine Ermittlung der DFB-Ethikkommission. Aber die existiert gerade nicht mehr.

Aktuell ist der Verdacht, dass das Ethikgremium bewusst in die Selbstzerstörung manövriert worden ist: durch die Verbandsspitze um Interimspräsident Rainer Koch. Gleich nach der Wahl der Personalberaterin Irina Kummert zur neuen Ethikchefin traten am Mittwoch die übrigen drei Mitglieder des Gremiums zurück. Zwei hatten diesen Schritt zuvor für den Fall von Kummerts Kür offen angekündigt. Aber mit weniger als drei Mitgliedern ist die Ethikkommission nicht arbeitsfähig - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich intensiv mit einem möglichem Fehlverhalten von Interimschef Koch beschäftigt ( SZ vom 15.06.).

Kummerts Wahl sei "völlig korrekt" gewesen, sagt Koch, der den Verband derzeit gemeinsam mit Liga-Vertreter Peter Peters führt. Wie so oft, sieht sich der DFB-Strippenzieher missverstanden. Dabei hat die Affäre eine Dimension erreicht, dass Vertreter wichtiger Sponsoren und Politiker in harschem Ton Aufklärung fordern. Nun zeigen SZ-Recherchen, dass der Coup um die Ethiker offenbar infamer eingefädelt wurde als bisher bekannt. Mehrere Mitglieder des Präsidiums erklären gegenüber der SZ, dass und wie manipulativ vor der Wahl mit der Causa intern umgegangen worden sei.

Auf einmal stand die Neuwahl des Ethik-Chefs auf der Agenda

Formal war der Chefposten des Ethikgremiums seit dem Tod des gewählten Vorsitzenden Thomas Oppermann im Herbst 2020 vakant. Damals verständigten sich die verbliebenen Mitglieder - neben Kummert der Jurist Bernd Knobloch, der Theologe Nikolaus Schneider und die Korruptionsspezialistin Birgit Galley - darauf, dass Knobloch interimistisch übernimmt. Unter seiner Leitung führte das Gremium seither viele Verfahren. Aktuell befasste es sich mit Koch, und plötzlich rückte eine banale Formalität auf die Agenda der Präsidiumssitzung am Mittwoch: Neuwahl des Ethik-Chefs. Unter der Rubrik "Vorschlag" wurden drei Kandidaten zur Wahl aufgelistet: Interimschef Knobloch, den die Fraktion um Koch und Schatzmeister Stephan Osnabrügge kritisch sah; Personalberaterin Kummert sowie Schneider, der als moralische Instanz geschätzte langjährige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wichtige Kunde zur Sache erhielten die Präsidialen noch am Dienstag: Um 14.53 Uhr trudelte ein "erweiterter Lebenslauf" zu Kummert ein - die wohl als Gegenkandidatin aufgebaut wurde.

Auch manchen Vertreter des Amateurbereichs, der acht der zwölf Präsidiumsmitglieder stellt, überraschte, dass drei Kandidaten zur Wahl standen. Am Dienstagabend, vor dem Frankreich-Länderspiel, kamen sie zur internen Beratung zusammen, dort erfuhren sie Erstaunliches. Über eine Uneinigkeit im Ethikergremium sei berichtet worden - und vor allem: Mehrere Teilnehmer bestätigten der SZ, dass bei der Einstimmung zur Präsidiumssitzung die Gesundheit von Schneider ebenso thematisiert worden war wie ein angebliches Ethikverfahren gegen Knobloch. Letzteres wurde dann auch anderntags, bei der Präsidiumssitzung mit den Profi-Vertretern, behauptet. Schatzmeister Osnabrügge berichtete von einem Verfahren gegen Knobloch. Ein Liga-Vertreter hakte dazu sogar irritiert nach.

Die Folgen: Den angeblich gesundheitlich angeschlagenen Theologen Schneider schlug im Präsidium niemand vor (obwohl er als "Vorschlag" auf der Agenda stand). Und der plötzlich ins Zwielicht geratene Ethikchef Knobloch verlor die Abstimmung mit 5:7 Voten gegen Kummert.

Plötzlich ging es um ein Verfahren gegen Knobloch - und Schneiders Gesundheit?

Das Problem: Beide Darstellungen sind falsch. Ohnehin dürfte sich zu Fragen der Gesundheit nur ein Betroffener selbst äußern, und im Fall Schneiders gibt es da keine Bedenken. "Ich konnte auch aus gesundheitlichen Gründen meine Kandidatur vertreten", teilte der Theologe am Freitag mit. Eine konkrete Anfrage, ob und warum Schneiders Gesundheit thematisiert wurde, ließ die DFB-Spitze Koch/Osnabrügge unbeantwortet. Allgemein teilt der Verband mit, er nehme "zu Sitzungen und Sitzungsinhalten, die nicht öffentlich sind, nicht im Einzelnen Stellung".

Und die Behauptung, es gäbe ein internes Verfahren gegen Knobloch? Tatsächlich hatte es im März einen Befangenheitsantrag gegeben, den allerdings das Sportgericht am 3. Mai mit ausführlicher Begründung abgelehnt hatte. Jetzt erklärt der DFB, Osnabrügge habe das Präsidium darauf hingewiesen, er habe "vor längerem eine als Anzeige an die Ethikkommission zu wertende Beschwerde einer Arbeitnehmerin", die auch Knobloch betreffe, ans Ethikgremium weitergeleitet. Ob die Sache erledigt sei oder nicht, habe nicht geklärt werden können, niemand sei informiert worden - "auch nicht Herr Osnabrügge". Wieder eine merkwürdige Behauptung: Der SZ liegt eine Mail vor, in der der Geschäftsführer des Ethikstabs, Ulrich Schulte-Bunert, Knobloch erklärt, dass er Osnabrügge den Gerichtsbeschluss nun übermitteln werde - das war am 12. Mai. Schulte-Bunert übrigens soll nun mit Kummert das neue Ethik-Gremium kompilieren.

Unabhängig von der Frage, ob Osnabrügge entgegen der Aktenlage nicht informiert wurde: Wie fahrlässig ist es, ein derart beeinflussendes Thema vor einer Wahl aufzutischen, ohne die Umstände genau geklärt zu haben?

So steht nun klar der Eindruck im Raum, dass Amateur-Vertreter manipulativ informiert wurden, um ein Votum für Kummert zu konstruieren. Dass der Diskurs über ein Knobloch-Verfahren im Präsidium stattfand, ist unbestritten. Er müsste Konsequenzen haben, denn den wahren Sachstand erfuhr das Gros der Wahlleute erst hinterher. Noch übler wäre, wenn in der Amateursitzung am Vorabend auch irgendeine Bemerkung zu Schneiders Gesundheit fiel. In beiden Fällen müssten nun unmittelbare Konsequenzen erfolgen.

Klar war: Wird Kummert gewählt, zerbricht die Kommission

In der Bredouille steckt der DFB auch beim Versuch, den Eindruck zu verwischen, er habe die Sprengung des Gremiums bewusst in Kauf genommen. In einer Erklärung hieß es, dass "aufgrund der Uneinigkeit innerhalb der Kommission mit Rücktritten von Kommissionsmitgliedern gerechnet werden musste - egal, wie die Abstimmung ausgehen würde". So eine Darstellung haben auch Amateurvertreter in Erinnerung. Das träfe aber nur zu, falls neben Galley und Knobloch auch Kummert einen möglichen Rückzug angekündigt hätte. Auf Nachfrage äußerten sich dazu aber weder der DFB noch Kummert.

Unabhängig davon war aufgrund der vorherigen Ansagen also klar: Sollte Knobloch gewählt werden, würden - auch ohne Kummert - mindestens drei Mitglieder bleiben und die Kommission weiter arbeitsfähig sein. Gleiches galt für eine Kür Schneiders. Wird aber Kummert gewählt, treten erklärtermaßen mindestens zwei Mitglieder zurück, das Gremium zerbricht und der Verband steht ohne handlungsfähige Kommission da.

Trotzdem wurde das Präsidium Richtung Kummert gelenkt, und ist die Kommission nun am Ende. Besonders der Umgang mit Schneider löste Schockwellen aus, auch unter Präsidialen, die achselzuckend für Kummert stimmten. Die Frage, ob Funktionäre getäuscht worden sind, muss geklärt werden.

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