Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf bei der Fußball-EM:Löws Elf korrigiert alle Schwächen

Lesezeit: 3 min

Die Feststellung ist so alt wie der Fußball: Deutschland ist eine Turniermannschaft. Aber was bedeutet das eigentlich genau?

Von Thomas Hummel, Paris

Da war es wieder, das Wort, das im ganzen Fußball-Universum das Blut in dickflüssigen Tomatensaft mit Pfeffer verwandelt. "Tím turnaja" sagte Jan Kozak - Turniermannschaft.

Der slowakische Trainer setzte dabei die Miene eines Mannes auf, der gerade Opfer eines Naturereignisses geworden war. 0:3, so hoch hatte er in seinen drei Jahren als Nationaltrainer nie verloren, auch nicht gegen die Spanier in der Qualifikation zur Europameisterschaft. Ein paar Spieler hätten nicht ganz die beste Leistung gezeigt in diesem Achtelfinale von Lille, doch wirklich böse wollte er mit seinen Profis nicht sein. Was sollte man schon unternehmen gegen diese Deutschen? Gegen diese Turniermaschine? "Sie wissen, wann sie aufdrehen müssen", sagte Kozak und legte die Stirn in tiefe Falten.

Die Welt zuckt in diesen Momenten mit den Schultern, man hat sich daran gewöhnt, dass eine deutsche Nationalmannschaft immer gute oder sehr gute Turniere spielt. Dass etwas limitierte Gegner wie die Slowakei kaum jemals die Chance haben zu überraschen. Selbst wenn einmal unbekannte Algerier aufdrehen, spielt der Torwart eben Libero und köpfelt alle Angriffe knapp hinter der Mittellinie weg.

Das war im Stade Pierre Mauroy nicht nötig gewesen. Manuel Neuer bewahrte seine Mitspieler mit einem tollen Reflex vor dem Ausgleich, als Juraj Kucka kurz vor der Pause die einzige richtige Torchance für die Slowakei hatte. "Das ist der Manu, den hält glaub ich nicht jeder. Er hält ihn aber", fasste Jérôme Boateng schlüssig zusammen. Den Rest erledigten die Feldspieler diesmal alleine. Und zwar nicht im Vorbeigehen, sondern mit außergewöhnlich engagiertem Auftreten von hinten bis vorne.

Mit 45 Minuten langem Pressing erstickten sie selbst die kleinsten Ambitionen der Slowaken, den Favoriten ärgern zu können. Warten andere Mannschaften wie Kroaten oder Portugiesen gerne ab und sichern erstmal ihren eigenen Strafraum, gehen die Deutschen vorne drauf und wollen mal sehen, wer der Stärkere ist. Gomez, Draxler, Özil, Müller - auch die Offensivgeister sprinteten über das Feld, um die Gegenspieler zu attackieren.

Dabei ist es erstaunlich, wie die Deutschen im Verlauf dieses Turniers bis zum Achtelfinale all ihre Schwächen behoben haben. Ohne dabei ihre Stärken zu verlieren. Die Probleme in der Defensive gegen die Ukraine? Seither hilft die ganze Mannschaft beim Verteidigen mit. Zudem kehrte Mats Hummels zurück, der seinen Status als Weltklasse-Innenverteidiger festigt. Die ersten vier Spiele ohne Gegentor, das gelang einer DFB-Auswahl nur bei der WM 1978, da war allerdings auch dreimal ein 0:0 dabei.

Im Jahr 2016 hat Bundestrainer Löw mit seinen Mitarbeitern nach dem 0:0 gegen Polen die richtigen Schlüsse für das Offenspiel gezogen. Er hat die Statik völlig verändert: Gegen die Slowakei agierte Thomas Müller praktisch als zweiter Mittelstürmer neben Mario Gomez, Mesut Özil und Julian Draxler hatten dahinter alle Freiheiten und rochierten fröhlich über den Platz. Dazu spielten die Außenverteidiger Joshua Kimmich und Jonas Hector wie schon gegen die Nordiren bei eigenem Ballbesitz praktisch als Außenstürmer. So brachten die Deutschen bei eigenen Angriffen stets drei, vier Spieler in den Strafraum und überforderten schlichtweg die Slowaken.

Selbst wenn es mal in den Infight ging, hatte die eigentlich steinharte slowakische Abwehr einen schweren Stand. Von dem Zusammenprall mit Martin Skrtel trug Thomas Müller zwar eine rote Druckstelle am Kopf davon, sagte aber später grinsend: "Alles gut. Ich hatte mehr Angst um den Gegenspieler."

Kozak nahm seine Spieler in Schutz vor arger Kritik. "Die Deutschen waren so fokussiert und stark, dass es schwer war", erklärte er. Weniger beeindruckt zeigte sich indessen sein Kollege Löw. Schon bald nach dem Schlusspfiff wollte er von all dem Lob nicht mehr viel wissen. Bei allem Respekt, führte er aus, die Slowakei sei nicht der Maßstab oder Gradmesser gewesen, um das Turnier zu dominieren. "Wir müssen uns weiter steigern, wenn wir es gewinnen wollen."

Das musste Löw dann doch genauer ausführen, wo er seine Mannschaft noch verbessern wolle. Mit strengem Blick erklärte er: "Wir müssen uns in allen Bereichen steigern. Man darf dem Gegner keine Zeit, keinen Raum geben. Man muss kostbar mit eigenen Chancen umgehen." Er sah aus, als wüsste er noch zwölf bis 32 Aspekte mit Verbesserungsbedarf, schließlich hat er nun bis zum kommenden Samstag Zeit, wenn es in Bordeaux gegen Italien oder Spanien geht.

Auf eins kann Löw allerdings auch dort zählen. Selbst wenn gerade in diesen Ländern der Respekt nicht ganz so groß ist, den Ausdruck "Turniermannschaft" haben sie in Italien oder Spanien durchaus auch schon gehört.

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