Süddeutsche Zeitung

Probleme der DFB-Elf:Klubs sind die neue Nationalelf

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Die DFB-Elf leidet unter den vielen konkurrierenden Schauplätzen und ist bei den Fans nicht mehr erste Wahl - das hat sie sich selbst zuzuschreiben.

Kommentar von Christof Kneer

Aus aktuellem Anlass erst mal eine Preisfrage: Wer hat im Juni die Fußball-Nations-League gewonnen? War das a) Portugal, b) die Niederlande oder c) die Schweiz? Die Gewinner haben die Wahl zwischen diesen Preisen: a) ein Sky-Abo, b) ein Dazn-Zugang oder c) Karten für ein Länderspiel der Nationalmannschaft, gegen Luxemburg oder Liechtenstein, in Wolfs- oder Duisburg. Die korrekte Antwort auf die Frage nach dem Nations-League-Sieger lautet: Weiß man nicht.

Ebenso unklar ist, welchen Preis die Gewinner wählen würden. Zwar ist ein Besuch bei der Nationalelf wieder attraktiver geworden, seit bei Toren nicht mehr dieses lästige Oli-Pocher-Lied gespielt wird, dennoch ist das Undenkbare längst denkbar geworden: dass Fußballfans sich lieber für die TV-Fernbedienung entscheiden, um Paris gegen Real Madrid oder gar Basaksehir gegen Wolfsburg oder -berg zu sehen - statt live im Stadion jene drei oder sieben Tore zu verfolgen, die die Deutschen den Armeniern oder Aserbaidschanern reinhauen, zu unfreundlichen Jahres- und Uhrzeiten.

Bei der Nationalelf müsse man sich fragen, "ob man den Fußball nicht manchmal am Menschen vorbeiinszeniert", hat Uli Hoeneß gerade gesagt, man habe "das Gefühl, das Interesse ebbt ab". Der DFB-Manager Oliver Bierhoff hat sich hierauf sach- und fachgerecht verteidigt und auf die "vielen Fanaktivitäten wie öffentliche Trainingseinheiten oder Besuche von sozialen Einrichtungen" verwiesen.

Die DFB-Elf hat sich überinszeniert

Wer von den beiden nun etwas mehr recht hat, weiß man etwa so genau, wie man den Sieger der Nations League kennt. Die TV-Quoten bei RTL sind gut, die Stadienauslastung liegt laut Bierhoff bei 93 Prozent, und dennoch erbringen empirische Umfragen unter Bekannten und Unbekannten inzwischen oft dieselbe Antwort. Doch, die Existenz der Nationalelf ist bekannt, spielt die nicht demnächst sogar wieder? Aber wann genau und gegen wen? Und wo ist nächsten Sommer noch mal die EM, war da nicht irgendwas Komisches mit mehreren Ländern?

Da war was Komisches, ja.

Die Nationalelf kann nichts dafür, dass die Uefa ihre EM in elf europäische Städte und eine asiatische verlegt hat und dass dafür ein Qualifikationsirrsinn nötig geworden ist, den man auch mit mehreren Semestern Raketenwissenschaft nicht versteht. Sie kann nichts dafür, dass der Wert der Qualifikation immer alberner wird, wenn am Ende fast die Hälfte der Mitgliedsverbände beim Eliteturnier mitmacht. Und dass die Leute die Nations League nicht annehmen, weil sie den Etikettenschwindel checken: auch nicht die Schuld von Jogi Löw und Olli Bierhoff, vermutlich nicht mal die von Oli Pocher.

Die DFB-Elf leidet unter den vielen konkurrierenden Schauplätzen, an denen der Fußball heute präsent ist, die Klubs sind als Identitätsstifter inzwischen die neuen Nationalteams geworden. Dass die DFB-Elf für diese Rolle ausgefallen ist, hat sie sich aber auch selbst zuzuschreiben. Die Überinszenierung einer Elf, die sich in Slogans wie "Best never rest" oder "#zsmnn" zuspitzt, wirkt umso grotesker, wenn der Bundestrainer seine heiligen Buben krachend aus der WM coacht und in der Nations League auf den letzten Gruppenplatz führt. Auch das gehört ja zur Wahrheit: Der Weltmeistertrainer wird im Land nicht mehr als Figur des Aufbruchs wahrgenommen, inmitten seiner neuen Elf wirkt er manchmal wie aus alten Tagen übrig geblieben. Die EM 2020 wird wegweisend werden für Löw und sein Team, das Quartier in Herzogenaurach und die (mindestens zwei) Vorrundenspiele in München bieten die Chance, sich bei den Leuten mit der Fernbedienung wieder Relevanz zu erspielen.

Die Nations League hat übrigens Portugal gewonnen, 1:0 gegen die Niederlande.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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