Süddeutsche Zeitung

Deutschland vor Spiel gegen Griechenland:Verdacht auf Barcelona

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Niemand lädt die Nationalelf mehr zum Zaubern ein, die Gegner verweigern einfach das Mitspielen. Joachim Löw muss deshalb die Partien gegen schwächere Teams fürchten. Denn der Schwächere hat die Wahl der Waffen - und die wird auch im Fall Griechenlands unangenehm für Deutschland ausfallen.

Christof Kneer

Es sind diese zwei Spiele, die Joachim Löw immer fürchtet. Der Bundestrainer vertritt ja die Theorie, dass die spielerisch bessere Mannschaft in acht von zehn Fällen gegen die spielerisch schwächere Mannschaft gewinnt - das klingt beruhigend, aber trotzdem bleiben da eben diese zwei Spiele, in denen sich der von Löw so verachtete Zufallsfaktor sein Recht verschafft. Es bleiben diese zwei Spiele, in denen die Sportart all jene verhöhnt, die sie zu berechnen versuchen.

Es hat nicht viel gefehlt, und das deutsche Vorrundenfinale gegen Dänemark wäre eines von diesen zwei Spielen geworden. Ohnehin hat der europäische Spitzenfußball zuletzt häufiger Partien erlebt, die es gar nicht geben dürfte, zumindest nicht in Löws Welt, zumindest nicht in dieser Häufigkeit.

Der FC Chelsea hat den FC Barcelona im Halbfinale der Champions League in Hin- und Rückspiel mit genüsslichem Zynismus der Naivität überführt, und weil's so schön war, haben sie den Trick im Finale gleich noch mal am FC Bayern ausprobiert; wieder mit Erfolg.

Es ist das Recht des Schwächeren, die Waffen zu wählen, und es ist die Pflicht des Stärkeren, die Wahl dieser Waffen nicht übelzunehmen. Löw hat vernehmbar gegrummelt über den moralzersetzenden Spielstil der Dänen, der darauf abzielte, die Deutschen zu entnerven, zu ermüden und in einem unaufmerksamen Moment zu erwischen, aber er weiß, dass das im Grunde ein Kompliment für seine Elf ist.

Die Gegner haben im deutschen Team zuletzt einen Anfangsverdacht auf Barcelona erkannt, und das Team begreift gerade, dass es ziemlich anstrengend sein kann, sich dem Vorbild anzunähern.

Die deutsche Mannschaft weiß, dass sie die Bilder von 2010 vergessen muss. Es waren prächtige Bilder, 4:1 gegen England, 4:0 gegen Argentinien, aber es sind Bilder der Vergangenheit. Sie besitzen einen historischen Wert, aber sie haben ihre Bedeutung für die Gegenwart verloren. So einladend spielt niemand mehr gegen Deutschland.

Löw hat Schlüsse daraus gezogen, er hat den Fußball seiner Elf neu definiert, er will, dass sie höher verteidigt, weiter vorne angreift, neue offensive Laufwege einschlägt.

Das Dänen-Spiel hat aber gezeigt, dass die Praxis der schönen Theorie nicht immer ganz folgen kann. Zu Beginn der Partie war Löws Plan gut zu sehen, aber irgendwann verlor die Elf den Zugriff und das Vertrauen ins neue Spiel.

Löw klagt nicht mehr, aber er sieht jetzt, was er nach der - Zitat - "zerrütteten" Vorbereitung heimlich befürchtete: Ihm fehlen ein paar Trainingstage. Seine Elf muss das Spiel gegen Teams, die das Spiel verweigern, nun im laufenden Turnierbetrieb üben.

Die nächste Lektion gibt's am Freitag - und es ist eine gefährliche Beruhigung, dass Löws Elf von zehn Spielen gegen Griechenland vermutlich acht gewinnt.

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SZ vom 19.06.2012
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