Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalmannschaft:"... und am Ende gewinnen die Deutschen nicht mehr"

Lesezeit: 3 min

Von Matthias Schmid

220 Stunden, so lange benötigt man für den Fußweg von Budapest nach Bonn, wenn man der virtuellen Wanderkarte im Internet Glauben schenken darf. Imke Duplitzer, eine frühere deutsche Weltklassefechterin, hätte diese Strecke zurücklegen müssen, wenn sie auf der Planche ähnlich emotionslos aufgetreten wäre wie die deutsche Nationalmannschaft in ihrem letzten Gruppenspiel bei der Fußball-WM in Russland gegen Südkorea (0:2), das zugleich auch das letzte im gesamten Turnier für die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw war. "Für so ne Leistung hätte mein Trainer mich früher nach Hause LAUFEN lassen - aus Budapest!!!!", schrieb die 42-Jährige auf Twitter.

Es waren nicht alle Posts und Reaktionen von deutschen und ausländischen Sportlern mit so viel Süffisanz versehen wie der Eintrag der Fechterin. Abgesehen von einigen früheren Gurus vielleicht, die es weiland - natürlich - viel besser machten. Mario Basler zum Beispiel, dessen Laufwege zu seiner aktiven Zeit für einen Kanaldeckel reichten, sagte, "dass einige Spieler intensiv darüber nachdenken sollten, ob sie das Nationaltrikot wirklich noch mal anziehen".

"Ich werde einige Zeit brauchen", kündigt Dirk Nowitzki an

Während sich die Nationalmannschaft über den offiziellen Twitter-Kanal bei den Fans entschuldigte...

... fanden viele andere keine adäquaten Worte für das Erlebte. "Sprachlos", twitterte Basketballer Dirk Nowitzki, "ich werde einige Zeit brauchen." Schon während der Partie hatte der NBA-Champion von 2011 mit den Spielern um Kapitän Manuel Neuer gebangt. "Können wir endlich ein Tor schießen??!!!", flehte der 40-Jährige.

Dass die deutschen Kicker sich so schwer taten mit dem Toreschießen, wunderte etliche Experten. "In diesem Turnier haben sie in den drei Spielen zusammengenommen nur etwa eineinhalb Minuten geführt", stellte Englands Nationaltrainer Gareth Southgate erstaunt fest und fügte mit Blick auf die Erfolge bei der U-21-EM und dem Confed Cup ratlos hinzu: "Es war ungewohnt zu sehen, dass sie so große Probleme haben."

Für Belgiens Nationalcoach Roberto Martínez haben sich die Gewissheiten im Weltfußball aber mit dem frühen Abschied des Weltmeisters nicht komplett aufgelöst. Deutschland, sagte Martínez, "ist für mich immer noch eine der besten Mannschaften der Welt, vielleicht sogar eine der beiden besten". Eine Erklärung für das frühe Aus hatte er gleich parat: "Dass sie in der Gruppenphase ausgeschieden sind, zeigt, wie klein die Abstände mittlerweile sind. Durch die Informationen und die Technologie, die alle Teams nutzen, gibt es keine Geheimnisse mehr."

Umso mehr fragten sie sich im Mutterland des Fußballs, warum bloß Joachim Löw Leroy Sané nicht in den Flieger nach Russland gesetzt hatte, der in der Premier League bei Meister Manchester City mit seinen anarchischen Dribblings noch zum besten Nachwuchsspieler der Liga gekürt worden war. Der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger forderte deshalb in seiner Kolumne für die englische Zeitung The Guardian eine schnelle Rückkehr von Sané in die deutsche Auswahl. "Er ist genau der Typ von Spieler, den die Deutschen nun brauchen, jemand, der jung ist und eine rohe und gefährliche Geschwindigkeit mitbringt."

Es war bei der WM auffällig, wie schwerfällig die Mannschaft in den drei Gruppenspielen gewirkt hatte, fast so, als hätte jemand die Spiele in Zeitlupe übertragen. Urteilen über die Zukunft von Joachim Löw wollte Hitzlsperger aber nicht. Es sei seine Entscheidung, schrieb der 36-Jährige: "Sollte er aber keine Motivation mehr haben, dann sollte er weiterziehen und vielleicht eine Mannschaft im Klubfußball übernehmen."

"Heute sind wir alle sehr traurig", bekennt Angela Merkel

Der Blick des Auslands ging bei der Betrachtung der Fußballer über den Sport hinaus. Es seien schwierige Zeiten für Deutschland, analysierten die Kommentatoren, politisch und wirtschaftlich. Der Garant für Stabilität in Europa, Bundeskanzlerin Angela Merkel, kämpfe innenpolitisch um ihre Autorität, die großen Automarken würden betrügen und die Deutsche Bank verliere immer mehr an Wert. Vielleicht war es deshalb fast schon folgerichtig, dass Merkel bei einer Konferenz der Wirtschaftswoche ihr Inneres im Gespräch mit einem Roboter nach außen kehrte: "Heute sind wir alle sehr traurig", bekannte die Kanzlerin nach dem 0:2 gegen Südkorea.

Gary Lineker, der frühere Nationalspieler, der das Bild des immer erfolgreichen Deutschlands mit einem berühmten Satz mitgeprägt hat, korrigierte sich nun und passte seinen Ausspruch gewohnt pointiert an die Neuzeit an: "Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Spieler rennen 90 Minuten lang einem Ball hinterher und am Ende gewinnen die Deutschen nicht mehr. Die vorherige Version ist nun Geschichte."

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