Süddeutsche Zeitung

Özil-Rücktritt:Hoeneß redet wie einer, der nicht erkennt, worum es geht

Lesezeit: 3 min

Von Benedikt Warmbrunn, München

Seinen letzten Zweikampf als deutscher Nationalspieler hat Mesut Özil am 27. Juni 2018 bestritten. Eigentlich ist das mit den Zweikämpfen bei Özil ziemlich egal, sein Wert für ein Fußballspiel bemisst sich nicht darin, ob und wie er einen Zweikampf führt, dennoch hilft es in dieser aufgeregten Debatte, sich seine Zweikampfstatistik anzuschauen: In seinem 92. und letzten Länderspiel, dem dritten Vorrundenspiel der WM gegen Südkorea, hat Özil 13 Zweikämpfe bestritten, fünf davon hat er verloren. Gewonnen hat Özil seinen letzten Zweikampf als deutscher Nationalspieler also: am 27. Juni 2018.

Das mit den Zweikämpfen ist nur ein winziges Detail in der Länderspielkarriere des Mesut Özil, aber es ist nun auch ein Detail, das nicht unterschätzt werden darf.

"Seinen letzten Zweikampf", hat Uli Hoeneß am Montag über Özil gesagt, "hat er vor der WM 2014 gewonnen." Es war noch der freundlichste Satz, der dem Präsidenten des FC Bayern einfiel zum Rücktritt des 29-Jährigen. Falsch war er trotzdem.

Am Montag ist der FC Bayern zu einer Werbetour in die USA geflogen, am Münchner Flughafen wurde Hoeneß zuvor noch auf Özil angesprochen, und der Präsident leistete sehr bereitwillig seinen Beitrag zur Debatte. Hoeneß, der in den vergangenen Jahrzehnten oft ein gutes Gespür für gesellschaftliche Strömungen gehabt hat, redete am Montagvormittag allerdings wie einer, der nicht erkannt hat, worum es rund um Özils Rücktritt geht. Er sprach über den Sport und verkannte dabei, dass es um den Sport bei diesem Rücktritt kaum geht. Und er sprach dazu noch in einer Wortwahl, die für die dringend nötigen Differenzierungen keinerlei Raum ließ.

"Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt", sagte Hoeneß. Es folgte der Satz über die Zweikämpfe. "Und jetzt versteckt er sich und seine Mist-Leistung hinter diesem Foto" - gemeint war das Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Später sagte Hoeneß noch, dass bei der WM niemand hinterfragt habe, "was der bei der WM für einen Mist gespielt hat". Und: "Die Entwicklung in unserem Land ist eine Katastrophe. Man muss es mal wieder auf das reduzieren, was es ist: Sport. Und sportlich hat Özil seit Jahren in der Nationalmannschaft nichts verloren."

Spuk. Dreck. Doppelter Mist. Katastrophe. So positionierte sich Hoeneß in einer Diskussion, in der es im Kern um einen Rassismusvorwurf sowie um das Zusammenleben verschiedener Kulturen geht. Dann stieg er in den Flieger ein.

Wer nun Hoeneß den Gefallen machen und Özils Karriere auf den Sport reduzieren will, der erkennt, dass sich da gerade einer der eher besseren Fußballer der Welt aus der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet hat. Das zeigt sich sogar in der Zweikampfquote, obwohl die eigentlich recht wenig über Özils Spiel aussagt: Gegen Südkorea gewann er 61,54 Prozent seiner Duelle, das war die viertbeste Quote aller deutschen Feldspieler.

Özils Spiel ist jedoch eines, das nur mit Differenzierungen zu verstehen ist. Er ist kein sog. Leader wie einst Michael Ballack oder Lothar Matthäus, er nutzt nicht seinen Körper, um seiner Mannschaft zu helfen. Er nutzt dafür sein Gespür für die Räume, für die Bewegungen der anderen Akteure, für den richtigen Zeitpunkt. Dann spielt er einen kurzen, schnellen Pass, und oft ist das dann ein Pass, durch den sich die gesamte Statik auf dem Platz verändert.

Mit seinen kurzen, schnellen und auch schnell mal übersehenen Pässen ist Özil der stille Taktgeber einer Fußballpartie; in der Premier League bereitete er in der vergangenen Saison im Schnitt 3,2 Torabschlüsse pro Spiel vor, der Bestwert der Liga, die als beste der Welt gilt. Selbst bei der WM in Russland, bei der auch Özil nicht sein ganzes Potenzial abrief, leitete er im Schnitt 5,5 Torschüsse ein, der Rekord des gesamten Turniers.

Im Frühjahr legte Özil zudem für den FC Arsenal im 141. Premier-League-Spiel zum 50. Mal ein Tor auf; dadurch erreichte er diese Marke schneller als der bisherige Rekordhalter, Eric Cantona, der bei Manchester United dafür 143 Spiele benötigt hatte. In engen, wichtigen Spielen nutzte Özil jedoch auch manchmal sein Gespür für die Räume, um sich in diesen zu verstecken - nächste Saison wird er mit Arsenal in der Europa League antreten. Dennoch war Özil mit seinem Sinn für die Schwingungen eines Spiels für den feinfedrigen Fußball, den sich Bundestrainer Joachim Löw wünscht, in all den Jahren der ideale Spieler.

Dieser Fußballer wird nun nicht mehr für die deutsche Nationalelf spielen. Er wird fehlen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4066705
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.