Süddeutsche Zeitung

Basketball:Die Stadt der Engel

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Seit 15 Jahren spielen die Angels Nördlingen in der ersten Bundesliga der Frauen - mit einem der kleinsten Etats, aber mit großer Leidenschaft der vielen Ehrenamtlichen. Im Playoff-Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft geht es gegen Osnabrück.

Von Andreas Liebmann

Kurzer Überfall auf einen Kleinbus, der unscheinbar vor der Sporthalle parkt. Ein Mann mit Kopfhörern öffnet die Schiebetür und gibt einen neugierigen Blick auf seinen Arbeitsplatz frei: ein Schaltpult im Halbdunkel und zahlreiche kleine Monitore, die das Halleninnere zeigen. Spontan erinnert das Bild an einen Krimi, an eine Polizei- oder Geheimdienstüberwachung vielleicht, nur die Kaffeebecher fehlen. Tatsächlich ist dies ein kleiner Übertragungswagen, und der Mann verdient damit sein Geld. Nur nicht hier und heute in Nördlingen.

"Wir können hier nur mit Leidenschaft und Emotionen arbeiten", erklärt Thomas Lambertz, als er wieder in die Hermann-Keßler-Halle zurückführt. Vorbei an einer LED-Werbebande, die sein Vorstandskollege Peter Struck kürzlich günstig aus China organisiert hat, um neue Marketingpotentiale zu schaffen, wie er später erklärt; vorbei an den Butterbrezn, die die Helfer am Vormittag geschmiert haben; durch eine Spielstätte, die am Morgen noch trist, grün und leer war und sich nun, auf wundersame Weise bestuhlt und mit Bodenstickern, Popup-Werbebanden, Prospekten, Tontechnik und Kameras versehen, mit knapp 700 Zuschauern füllt. Das letzte Hauptrundenspiel der Nördlinger Basketballerinnen steht an, gegen die TK Hannover Luchse. Fast alles passiert hier ehrenamtlich, sagt Lambertz, einer von drei gleichberechtigten Vorsitzenden der BG Donau-Ries. Man sieht ihm an, dass ihn das Ergebnis auch an diesem Spieltag wieder mit Stolz erfüllt.

Das Erreichen der Playoffs als Tabellenvierter ist schon vor diesem Hauptrundenabschluss klar gewesen. Es hätte sogar Rang drei werden können. Wäre da nicht jene seltsam emotionslose 48:66-Niederlage eine Woche zuvor gegen Herne gewesen, für die man nun gegen Tabellenführer Hannover ein bisschen Wiedergutmachung betreiben möchte. Das allerdings misslingt. Zwei Stunden später wird ein weiterer Dämpfer feststehen, ein 53:70, weshalb die Nördlingerinnen also ohne den erhofften Rückenwind in die Playoffs starten müssen. Am Sonntag (16 Uhr) ist es soweit, die Panthers Osnabrück kommen zu Besuch ins Ries, zuletzt nicht gerade der Lieblingsgegner - aber dazu später.

Lambertz hofft darauf, dass vielleicht auch der FC Bayern mal in den Frauenbasketball investiert

Die Ambitionen sind hier zuletzt etwas größer gewesen, das Wesentliche haben sie mit dem bisherigen Abschneiden trotzdem längst erreicht. Sie haben ihre 15. Erstligasaison nacheinander bewältigt, und zwar gut genug, um sich locker für eine 16. zu qualifizieren. Sie werden also mindestens so lange Erstligist sein, wie Angela Merkel Bundeskanzlerin war, vermutlich deutlich länger. Die Stadt im schwäbischen Landkreis Donau-Ries an der Grenze zu Baden-Württemberg blickt auf eine 70-jährige Basketballtradition zurück, überschlägt Lambertz, auch wenn man sie gerne mit dem Fußballer Gerd Müller verbindet, der hier aufwuchs. Trotzdem ist diese Leistung alles andere als selbstverständlich. Seit dem Absturz des TSV Wasserburg ist Nördlingen im Frauenbasketball der einzige bayerische Erstligist. In dieser Saison ist Alba Berlin dazugekommen, ein großer Name und "ein Gewinn für die Liga", findet Lambertz. Er hofft darauf, dass vielleicht auch der FC Bayern mal in den Frauenbasketball investiert.

Der Nördlinger Etat zählt - mal wieder - zu den zwei, drei kleinsten der Liga, schätzt Martin Fürleger, als Sportlicher Leiter ebenfalls Teil des Führungstrios. Dabei sind die knapp 300 000 Euro ihr bisheriger Spitzenwert. "Du musst cleverer sein und darfst weniger Fehler machen", erklärt der 36-Jährige die Kaderplanung. Um sich zwei, drei Profis zu leisten, die gut genug sind, um mit ihrer Klasse alles im Alleingang zu erledigen, reiche das Geld nicht, und manchmal müsse man bei Transfers auch etwas riskieren, wie damals bei Lesley Vorpahl, die aus einem Kreuzbandriss kam und dann die ligabeste Spielmacherin wurde.

Vor dieser Saison sind viele im Kader geblieben, wie die Kanadierin Samantha Hill oder die Finninnen Anissa Pounds und Elina Koskimies. Dazu kam Centerin Johanna Klug aus Marburg zurück, sie ist in Nördlingen geboren. Mit dem Aufstieg damals hat sich das Team aus dem TSV Nördlingen ausgegliedert, ebenso wie die Regionalliga-Männer, die Giants, die zuletzt 2008/09 erstklassig waren - jeweils, um dem Stammverein keine Risiken aufzubürden. Bislang sind sie hier gut damit gefahren. Die Angels, wie die Frauen heißen, haben seitdem immer mal wieder neue Namenssponsoren gehabt, seit zwei Jahren ist es das Bauunternehmen Eigner.

Sponsoren zu finden, sei hier nie ein großes Problem gewesen, sagt der Vertriebsspezialist Lambertz, 54. Die Unterstützung in der Stadt ist groß, manche Gaststätten bewirten die Spielerinnen kostenlos. Und manchmal machen sie in Nördlingen aus ihrem Wenigen sogar besonders viel, wie beim Livestream, für den der Mann im Kleinbus kein Geld verlangt. Dank ihm haben sie hier ein echtes Filmteam, sogar über den Körben hängen Kameras. Die Übertragung aus Nördlingen hebt das deutlich von der Konkurrenz ab, bei der die automatisch gesteuerten Kameras des Streaming-Anbieters gerne mal im entscheidenden Moment ins Nirgendwo schwenken, weil sich dort etwas bewegt.

Lambertz' Kollege Struck ist vor allem glücklich damit, wie sie hier die Corona-Zeit mit den Geisterspielen bewältigt haben, nach denen es noch dauerte, ehe sich die Halle wieder füllte. "Es war, als führst du ein Wirtschaftsunternehmen mit zwölf Angestellten, dem die Geschäftsgrundlage wegbricht", erinnert er sich. Inzwischen sitzt die Geschäftsgrundlage wieder auf der Tribüne und trommelt. Fast alles geht aufwärts. Nur das Sportliche müsste jetzt schnell wieder nachziehen, denn da ist so kurz vor den Playoffs irgendwie der Wurm drin.

Kleinigkeiten nur habe er zuletzt verändert, erzählt Trainer Ajtony Imreh nach der Niederlage; auch um die nachverpflichtete Chelsea Waters besser einzubinden. Aber nun wirkt er ratlos. Erst zum Schlussviertel hat er sein Sakko abgelegt, eigentlich ein gutes Zeichen. Imreh hüpft so temperamentvoll am Spielfeldrand entlang, dass die Leute sagen, je früher er sich des Sakkos entledigt, desto schlechter ist das Spiel. Doch der Anfang sah gut aus, nicht zuletzt dank zwölf Punkten im ersten Viertel von Anissa Pounds, der besten Dreierschützin der Liga. Alles wie geplant, sagt Imreh. Dann aber folgt: wenig. Nichts mehr von Pounds, kein einziger Punkt, und kaum etwas von den anderen. Hill trifft nicht von außen, Klug patzt unter dem Korb, Koskimies schwächelt. Dreierquote: 20 Versuche, ein Treffer. Es ist ein weiterer Einbruch seines Teams, den er sich nicht erklären könne, gibt Imreh zu, innerlich brodelnd und noch immer im weißen Hemd.

Mit drei Saisonniederlagen nacheinander starten sie nun also die Playoff-Serie gegen Osnabrück. Schon im Pokal waren die Panthers ihre Endstation, dabei hatte Nördlingen viel auf den Pokal gesetzt - als kürzesten Weg zu einem Titel. Nun ist ein Heimsieg fast Pflicht, sonst wird der Druck auswärts gleich riesig. Doch von den bisherigen vier Vergleichen mit Osnabrück hat Nördlingen nur einen gewonnen - und den auswärts. Bis zu sieben Duelle könnten es werden. Und wenn dann Schluss wäre? Werden sie versuchen, im 16. Jahr noch etwas mehr rauszuholen.

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