Süddeutsche Zeitung

Probleme im Breitensport:Die Angst vor dem Exodus

Lesezeit: 3 min

Teamsportarten wie Handball oder Hockey suchen in der Corona-Krise verzweifelt nach Möglichkeiten, auf den Platz zurückzukehren. Im Amateur- und Jugendbereich droht ein dramatischer Mitgliederschwund.

Von Thomas Hummel

Hermann Ellenbeck ist jetzt ein Videotrainer. Der Sportdirektor des Bayerischen Hockey-Verbands hat seinen etwa 300 Auswahlspielern per Excel-Datei Kraft- und Koordinationsübungen geschickt, die Athleten führen diese per Videochat vor. Auch taktische Schulungen gibt der 54-Jährige über die Kamera, dazu führt er lustige Wettbewerbe durch wie das Jonglieren eines Tennisballes mit dem Hockeyschläger. Einige Trainerkollegen üben ihre Spieler auch in der Spezial-Corona-Disziplin, eine Klopapierrolle möglichst lange in der Luft zu halten.

Die Wohnzimmer-Einheiten sind ganz lustig, für eine gewisse Zeit jedenfalls. "Es ist mehr eine Bespaßung als ein Training", sagt Ellenbeck. Doch nun dauert die Notsituation schon sechs Wochen, durch den Ausbruch der Corona-Pandemie ruht in Bayern seit dem 14. März der Sportbetrieb. Und während etwa in Rheinland-Pfalz seit kurzem Tennis, Golf oder Leichtathletik unter gewissen Auflagen wieder erlaubt ist, rätseln die Mannschaftssportarten, wie es bei ihnen weitergehen kann.

In einem Positionspapier formuliert der Deutsche Olympische-Sportbund (DOSB) "Leitplanken", wie der Vereinssport trotz Pandemie aufgenommen werden könnte. Die ersten beiden Planken heißen: "Distanzregeln einhalten" und "Körperkontakte auf das Minimum reduzieren". Womit Wettbewerbe im Hockey, Handball, Basketball oder Volleyball, wo schwitzende, keuchende Menschen hautnah aufeinandertreffen, ausgeschlossen sind. Und während im Fußball die finanzgewaltige Bundesliga um Sonderkonditionen kämpft, geht auch hier bei Amateuren und Junioren absehbar nichts mehr. Überall werden Spielzeiten ausgesetzt oder beendet. Gibt es überhaupt eine Perspektive, bevor ein Impfstoff gegen den neuen Erreger gefunden wird?

Falls Hallensport generell verboten wird, müssen die Sportler ins Freie

Die Hockey-Verbände haben ihren Punktspielbetrieb bis zum 1. August ausgesetzt. In Bayern findet demnach bis zum Ende der Sommerferien Mitte September kein Spiel statt. Doch für Hermann Ellenbeck ist das inzwischen fast zweitrangig. Er sorgt sich darum, dass die Viruskrise einen Exodus an Mitgliedern zur Folge haben könnte. "Ich glaube nicht, dass wir noch zweieinhalb Monate lang nur Heimtraining machen können", sagt er und fordert: "Es muss etwas passieren. Sonst kriegen wir ein echtes Problem." Ellenbeck fürchtet, dass Amateurspieler und viele Kinder und Jugendliche die Motivation verlieren und nach der Krise nicht mehr in die Klubs zurückkehren werden. Man kann sich schnell an ein Leben ohne Sport gewöhnen.

Über seine Sportart Handball macht sich Georg Clarke keine Illusionen. Der Präsident des bayerischen Verbands arbeitet im Gesundheitswesen als Pflegedienstleiter und beschäftigt sich damit auch beruflich mit dem Covid-19-Erreger. Er befürchtet eine lange Spielpause, im schlimmsten Fall werde im Jahr 2020 kein Wettkampfspiel mehr stattfinden. Clarke glaubt, dass Handball als Kontaktsportart in der Halle zu den letzten Sportarten gehören werde, die wieder einen normalen Spielbetrieb erleben: "Ich sehe das als äußerst problematisch an." Und er frage sich, wie man die mehr als 90 000 Vereins-Mitglieder bei Laune halten soll.

Die Hoffnung der Verbände liegt in diesen Tagen auf der Ministerpräsidentenkonferenz Ende April. In der Sportszene heißt es, die Politiker wollen sich bis dahin mit ihrer Problematik befassen. Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Bayerns Innen- und Sportminister Joachim Herrmann erklärt: "Derzeit arbeiten wir an einem Konzept für die Freigabe weiterer Sportarten ab circa Anfang Mai. Wir wollen den Menschen so viele Sportarten wie möglich erlauben." Dabei gehe jedoch im Zweifel der Infektionsschutz vor.

Auf Basis solcher Aussagen versuchen die Teamsportarten Konzepte zu entwickeln, wie sie am Tag X zumindest den Trainingsbetrieb wieder öffnen können. Einige Verbände wie die Handballer, Basketballer und Volleyballer arbeiten zusammen, denn das Problem ist bei allen dasselbe: Wie kann man die Sportart ausüben, ohne sich zu nahe zu kommen? Hockey-Sportdirektor Ellenbeck glaubt, dass es möglich sei, mit sechs Feldspielern und einem Trainer auf einer Spielhälfte die Abstandsregeln einhalten zu können. So seien zumindest Passspiel und Technikübungen möglich.

Handball-Präsident Clarke rechnet, dass man eine Dreifach-Turnhalle in acht bis zehn Abschnitte unterteilen kann, wo sich jeweils vier Spieler die Bälle zuwerfen. Der Übungsleiter stünde dabei in der Mitte der Halle. Und falls Hallensport generell verboten wird, dann müssten die Handballer eben ins Freie. Getrennte An- und Abfahrten sowie Duschen zu Hause gehöre selbstverständlich dazu. "Doch das ist bislang blanke Theorie und von einem Wettkampf natürlich weit entfernt", beklagt Clarke. Er nennt Handball unter diesen Umständen eine Einzelsportart.

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SZ vom 27.04.2020
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