Süddeutsche Zeitung

FC Bayern und Coronavirus:Einmal durchzählen bitte!

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Von Christof Kneer, München

Am Dienstagnachmittag haben die Verantwortlichen des FC Bayern eine Sitzung abgehalten, wie sie sie in ihrer 120-jährigen Vereinsgeschichte wahrscheinlich noch nie abgehalten haben. Es ging in dieser Sitzung nicht um neue Spieler und nicht um neue Sponsoren, es ging nicht um Ablösesummen oder Strategien zur Bekämpfung der sportlichen Konkurrenz. Nicht mal um Ultras ging es. In dieser Sitzung ging es einerseits recht allgemein um das Coronavirus, andererseits ging es offenbar auch um eine sehr spezielle Rechenaufgabe.

Offenbar ging es unter anderem auch darum, nachzuzählen, wie viele Menschen im Stadion sind, wenn niemand im Stadion ist. Am Mittag hatte die bayerische Staatsregierung erwartungsgemäß alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern zunächst bis Ende der Osterferien (einschließlich 19. April) untersagt, diese würden "nicht mehr zugelassen, das betrifft auch die ganzen Sportveranstaltungen", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in München. Allerdings haben die Funktionäre des FC Bayern bei ihrem Ministerpräsidenten dann noch eine weitere Abstufung registriert: Auch bei Veranstaltungen mit 500 bis 1000 Besuchern sei "größte Zurückhaltung" geboten, sagte Söder also, im Zweifel gelte auch da: "Lieber absagen."

Aus diesem Grund haben sich die Bayern-Leute also die Frage stellen müssen, ob mehr oder weniger als 500 Menschen im Stadion sind, wenn niemand im Stadion ist. Ein paar dienstbare Geister braucht ja auch so ein Geisterspiel, zum Beispiel zwei Mannschaften, ein Schiedsrichter-Team, Trainer- und Betreuerstäbe inklusive Masseure, Zeugwarte, Köche etc.; dazu Funktionäre in allen Formen und Farben, sehr umfangreiche Fernseh- und Kamera-Teams, mediale Rechte-Inhaber und mediale Nicht-Rechte-Inhaber und im Übrigen auch Security, die sicherstellen muss, dass nicht doch ein paar Zuschauer den Weg ins Stadion suchen oder sogar finden.

Die Bundesliga ist alt, der FC Bayern ist noch älter, aber mit solchen Details gibt es bisher keinerlei Erfahrungswerte. Und so haben sie sich in der Fußballabteilung des FC Bayern verständlicherweise Zeit genommen, um an einer passenden Erklärung zu feilen, und am frühen Dienstagabend erklärte der Klub dann schon mal auf seiner Homepage, dass das Spiel gegen Chelsea am kommenden Mittwoch hinter verschlossenen Türen stattfinde: "Damit setzt der FC Bayern die Verfügung der bayerischen Staatsregierung um, die zum Schutz der Bevölkerung erlassen wurde. Ziel ist es, das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu minimieren."

Spaniens Fußballverband entscheidet über Länderspiel in Madrid

Natürlich wissen sie beim FC Bayern, dass es überhaupt nichts bringt, sich vorzustellen, wie schön das wäre: das Rückspiel im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Chelsea (18. März) und ein mögliches Viertelfinal-Heimspiel ebenso vor der gewohnten Rekordkulisse auszutragen wie die Liga-Heimspiele gegen Eintracht Frankfurt (22. März) und Fortuna Düsseldorf (11. April). Es werden nun eben sogenannte Geisterspiele werden, man sei sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung natürlich sehr bewusst, heißt es beim Verein. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) empfing am Dienstagnachmittag eine Nachricht aus Bayern, die er umgehend an die Öffentlichkeit weiterreichte: Das Länderspiel zwischen Deutschland und Italien am 31. März in Nürnberg müsse "nach aktuellem Planungsstand ohne Zuschauer im Stadion stattfinden", meldete der DFB; darüber sei der Verband am Dienstag von der Stadt Nürnberg informiert worden.

Über allem stehe die Gesundheit, erklärte DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius im offiziellen Verbands-Kommuniqué, man befinde sich "im täglichen und intensiven Kontakt mit den zuständigen Stellen" und vertraue auf deren Expertise. Die Behörden hätten nun "klare Vorgaben gemacht, für die wir in dieser für uns schwierigen und komplexen Frage sehr dankbar sind. Auch wenn es natürlich bitter ist, dass dieser Klassiker vor leeren Rängen stattfinden muss". Ob das DFB-Testspiel in Spanien (26.3.) - ein weiterer Klassiker - wie geplant in Madrid zur Austragung kommt, will der spanische Fußballverband RFEF am Freitag entscheiden.

Auch weit gereiste Fußballprofis machen gerade Erfahrungen, von denen sie nie gedacht hätten, dass sie sie mal machen würden. Keiner von ihnen weiß, wie es sich anfühlt, in einem leeren Stadion das Ploppen des eigenen Schusses zu hören, aber zumindest die Profis des FC Bayern werden sich am Wochenende noch mal einprägen können, wie sich Fußball mit Zuschauern anfühlt. Der 1. FC Union Berlin wird die Bayern am Samstag im vollen Stadion erwarten, so haben es die Behörden im Bezirk Treptow-Köpenick entschieden - unter Berücksichtigung "eines "umfassenden Maßnahmenkatalogs des Vereins zur Hygiene im Stadion und zur Prävention vor und während der Veranstaltung". So klingt er, der Fußball im März 2020.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2020
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