Süddeutsche Zeitung

Corona-Beschränkungen im Sport:Vom Geist einer Verordnung

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Nicht jeder Profisport in Bayern muss tatsächlich ohne anwesendes Publikum auskommen. Herauszufinden, was tatsächlich erlaubt ist, was möglich und was vernünftig, bleibt jedoch knifflig. Die Entscheidung liegt vorerst bei den Gesundheitsämtern.

Von Andreas Liebmann und Sebastian Winter

Man kann es weiterhin überall lesen, ganz plakativ: Bayerns Profisport trägt "Geisterspiele" aus, seit vergangenem Samstag schon. Will heißen: Zuschauerzahl null. Auch in den Handlungsempfehlungen, die der Bayerische Landes-Sportverband für seine Vereine stets aktualisiert, steht zu diesem Thema bisher nur: "Bei großen, überregionalen Sportveranstaltungen (z. B. der 1. und 2. Bundesligen, im Fußball auch die 3. Liga) sind seit dem 04.12. keine Zuschauer mehr zugelassen." Nun hat die SZ bereits berichtet, dass es auch in Bayern trotzdem weiterhin Bundesligaspiele vor Publikum gibt. Und immer mehr dringen die Möglichkeiten, die ihnen die aktuelle Fassung der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) tatsächlich gelassen hat, auch bis zu den Profivereinen durch.

So hatten Hachings Volleyballer bereits für vergangenen Freitag die Zulassung von 300 Zuschauern für ihr Heimspiel gegen Berlin angekündigt, der Handball-Zweitligist Großwallstadt zog mit 250 Fans nach, die am Samstag gegen Nordhorn kommen dürften - jeweils nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt. Was nun also wirklich geht und was nicht, steht in den Erläuterungen zur aktuellen Verordnung, in denen die Bayerische Staatskanzlei neben der Frage, was genau überregional bedeutet (alle Ligen, die über Bayern hinausgehen), vor allem auch erklärt, was unter "groß" zu verstehen ist. Und diese Passage ist etwas für Juristen.

Sie lautet: "Groß ist eine Sportveranstaltung, wenn zu ihr unter den Maßgaben der 15. BayIfSMV regelmäßig nach der Kapazität der Sportstätte mehr als 500 Zuschauer kommen könnten." Also: Sind Zuschauer erlaubt, sofern das betreffende Spiellokal nicht mehr als 500 Plätze bietet?

Die Regelung soll "Kontakte und Reiseverkehr" beschränken

Mit juristischem Blick lässt sich diese Passage sogar so lesen, dass sie den Vereinen noch einiges mehr erlaubt - und mancher Klub, der flugs Geisterspiele ausgerufen hatte, wird nun noch einmal nachdenklich. Denn in der Verordnung selbst ist unter anderem festgehalten, dass Bayerns Spielstätten nur noch zu 25 Prozent ausgelastet werden dürfen. Nimmt man das aber als eine der in der Erläuterung erwähnten Maßgaben, unter denen dann regelmäßig nicht mehr als 500 Zuschauer kommen könnten, dann ergibt sich daraus sogar eine reguläre Hallenkapazität von bis zu 2000, von der man dann eben ein Viertel befüllen dürfte.

Bernhard Seidenath (CSU), der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Landtag, will nun keineswegs einen Geisterspiel-Wortwitz machen, indem er den "Geist dieser Verordnung" betont, er erläutert vielmehr, dass jener Geist das Bemühen gewesen sei, eine Regelung zu schaffen, die einerseits nicht jeden Profisport behindert, andererseits aber "möglichst viele Kontakte und Reiseverkehr beschränkt". Eine Hallenkapazitätsgröße von 500 hielte er dazu für "vernünftig" und "das höchste der Gefühle". Als Jurist äußert er sich nicht weiter zu den möglichen Lesarten, vielmehr appelliere er als Gesundheitspolitiker an die Vereine und Behörden, vernünftig mit den Vorgaben umzugehen und eben nicht alles auszureizen, was vielleicht noch möglich sei. "Bitte vermeidet so viele Kontakte wie möglich", sagt er, "je früher wir die Zahlen unten haben, desto besser für alle." Letztlich zuständig für Genehmigungen von Sportveranstaltungen seien aber die Gesundheitsämter.

Zwei Beispiele aus dem Profivolleyball zeigen, wie unterschiedlich das in der Praxis läuft. Das Gesundheitsamt in Unterhaching hat den dortigen Erstliga-Volleyballern ja schon grünes Licht für 300 Fans gegeben, die das attraktive Spiel gegen den deutschen Meister Berlin Recycling Volleys an diesem Freitagabend hätten besuchen können, samt Catering und Vip-Verpflegung. Allerdings unter der Bedingung, dass strenge Auflagen erfüllt werden: 2-G-plus-Regel, also zusätzlich ein tagesaktueller Schnelltest zum ohnehin verbindlichen Geimpft- oder Genesenzertifikat, zugewiesene Plätze, ein Mindestabstand von 1,5 Metern und eine FFP2-Maskenpflicht auch am Platz. "Der Name Berlin spielte natürlich auch eine Rolle", sagte Jochen Wessels, der Sprecher des TSV Haching München. Die Maximalzahl von 300 Zuschauern kam deswegen zustande, weil die Sportarena am Utzweg über 1200 Sitzplätze verfügt, hier griff also die 25-Prozent-Regel des Freistaats. Dem 1:3 (25:22, 9:25, 17:25, 20:25) wohnten nach offiziellen Angaben letztlich 100 Zuschauer bei.

"Die Zuschauer kommen erfahrungsgemäß bei der 2-G-plus-Regel eher nicht", sagt Herrschings Geschäftsführer Frömming

Rund 50 Kilometer weiter westlich sieht das Bild völlig anders aus. Hachings Ligakonkurrent WWK Volleys Herrsching, der Berlin auf dessen Wochenend-Trip am Sonntag empfängt, hatte dieses Spiel eigentlich im Münchner Audi Dome geplant. Da dort aber wegen seiner Größe nur Geisterspiele erlaubt sind und sich diese wegen der Miete und anderer Gebühren nicht rechnen würden, verlegten die Herrschinger die Partie in ihre heimische, 1000 Zuschauer fassende Nikolaushalle - wo sie nun allerdings ebenfalls ein Geisterspiel austragen, obwohl sie nach den aktuellen Vorgaben ein kleines Publikum empfangen könnten.

"Uns ist das Risiko zu groß, wir haben auch gar nicht mit dem Gesundheitsamt gesprochen", sagt Herrschings Geschäftsführer Fritz Frömming: "Es lohnt sich auch nicht in unserer engen Halle, die Zuschauer kommen erfahrungsgemäß bei der 2-G-plus-Regel eher nicht, der Verkauf ist minimal." Nun findet das "Spiel der Spiele", wie Frömming es nennt, ganz ohne Fans statt. Für die Herrschinger, die sich gerade für diese Partie die große Bühne Audi Dome gewünscht hatten, ist das doppelt bitter.

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