Süddeutsche Zeitung

NBA-Basketballer Chris Paul:Wegweiser ins gelobte Land

Lesezeit: 3 min

Er gilt als verkannter Regisseur, doch jetzt steht Spielmacher Chris Paul nach 1213 Partien endlich im NBA-Finale. Seine Phoenix Suns leitet er mit Qualitäten, die fast ein wenig aus der Mode gekommen sind.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Da lag er am Boden, mal wieder. Es tat sicherlich weh, mal wieder. Und doch war alles anders für Chris Paul, er lachte nach diesem Schubser von Gegenspieler Patrick Beverley. Er war nicht verletzt, er hatte auch nicht verloren. Das hinterhältige Foul war vielmehr der Beweis dafür, dass Paul es endlich geschafft hatte. 1213 Partien hatte er in der nordamerikanischen Basketballliga NBA absolviert, nun hat er es zum ersten Mal die Finalserie erreicht: Er hat den fünften Klub seiner Laufbahn, die Phoenix Suns, ins Finale geführt. Sie treffen dort auf die Milwaukee Bucks.

Anführer, das ist ein Wort, das inflationär verwendet wird im Profisport, dabei trifft es nur auf wenige Aktive zu. Sportliche Qualität ist nur einer der Aspekte. Die Geschichtsschreibung verklärt viele, die bei bedeutsamen Siegen prägend waren, zu Anführern, obwohl ihre Mitspieler später erzählen, dass sie mitunter ziemliche Unsympathen gewesen seien. Nur: Im Sport gilt nun einmal die alte Regel, wonach nur das zählt, was hinten rauskommt. Bei Paul sind sich alle einig, dass er ein Team anführen kann. In den vergangenen Jahren allerdings verfestigte sich das Stigma, dass er nie einen Verein ins gelobte Land führen und den Titel holen könne.

Die Rolle des Aufbauspielers in der NBA hat sich stark gewandelt

Das liegt auch daran, dass Paul Aufbauspieler ist und dass er in 16 Jahren Profikarriere den größten Umbruch auf der Position erlebt hat: Spielmacher im Basketball, das war einmal eine klar geregelte Angelegenheit, und Paul spielt noch immer so, als sei er der Dirigent auf dem Parkett. Er bringt den Ball nach vorne, sagt den Spielzug an, regelt Laufwege der Mitspieler und leitet das alles mit einem Pass ein.

NBA-Point-Guards sind heutzutage aber eigentlich mehr: Dribbler, Dunking-Athleten und Dreier-Schützen; auf ein Orchester übertragen also Geiger, Paukenspieler und Triangelspieler zugleich. Anführer sind sie nur selten, weil Akteure wie Russell Westbrook oder James Harden so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass sie weder führen können noch sich führen lassen. Es ist kein Zufall, dass beide noch keinen Titel erobert haben, und darin lag in den vergangenen Jahren auch Pauls Problem: Bei Misserfolgen wird das Gesicht des Anführers gezeigt, und wenn er häufig zu sehen ist, wird er zum Verlierer erklärt - dabei ist Paul das Gegenteil.

Schon 2005 kam er in die NBA, in seiner ersten Saison bei den New Orleans Pelicans wurde er zum besten Neuling ("Rookie") gewählt. Elfmaliger All Star war er, nach dem Wechsel zu den Los Angeles Clippers (2011) quasi jedes Jahr Titelfavorit - und jedes Jahr eine Enttäuschung, wie später bei den Houston Rockets (2017-19) und den Oklahoma City Thunder (2020-21).

Wer ihn über die Jahre hinweg immer wieder mal erlebt hat, auch in den Kabinen seiner Mannschaften, konnte feststellen, wie nervig Pflichtbewusstsein und Ehrgeiz eines solchen Leaders sein können. Paul ist ein Streber, er kennt das Regelbuch auswendig, weist die Schiedsrichter auf die krudesten Sachen hin und gewinnt damit Spiele. Er ist aber kein egomanischer Streber, der selbst gute Noten will; sondern einer, der Mitspieler nicht abschreiben lässt, damit sie es selbst lernen und besser werden.

So was mögen nicht alle, und deshalb war es von entscheidender Bedeutung, dass er vor dieser Saison nach Phoenix kam - auch wenn das Tauschgeschäft mit Oklahoma nicht jeder Experte verstand. Pauls Körper ist mit 36 Jahren arg geschunden, immer wieder verhinderten Verletzungen in den Playoffs größere Erfolge.

Und ganz ohne Komplikation ging es auch diesmal nicht. Paul, Chef der Spielervereinigung, der Kollegen zum Impfen ermutigte und sich als einer der Ersten selbst impfen ließ, wurde positiv auf Corona getestet. "Es war klar, dass wieder was passieren würde", sagte sein Bruder C. J.: "Er hätte schon oft aufgeben können, aber das ist nicht seine Art, also ist er auch diesmal wieder aufgestanden, als er am Boden lag."

Was die Phoenix Suns richtig erkannten: Sie haben in ihrem Orchester in Devin Booker einen Virtuosen (Dribbler und Scharfschütze) und in Deandre Ayton (Center) einen begabten Paukenspieler. Sie haben auch ordentliche Instrumentalisten wie Jae Crowder, Cameron Johnson, Mikal Bridges. Was fehlte, war ein Dirigent, der die Ideen von Trainer Monty Williams aufs Spielfeld überträgt. Vereinfacht ausgedrückt: Die Suns brauchten Paul, und der brauchte ein Team wie Phoenix, das sich gerne führen lässt.

Im sechsten Spiel der Halbfinalserie erzielte er 41 Punkte und versenkte sieben von acht Dreiern

Natürlich kann Paul, wenn es unbedingt sein muss, auch Virtuose sein - wie im sechsten Spiel der Halbfinalserie gegen die LA Clippers: Er versenkte sieben von acht Dreiern im Korb, schaffte 41 Punkte und wusste nach dem Schubser von Beverley, als er auf dem Boden lag: Das war's. Die Suns haben die Finalserie erreicht und spielen von Dienstag an gegen die Milwaukee Bucks, die am Samstag die Serie gegen Atlanta mit einem 118:107-Sieg beendeten. "Das war wieder nur ein Schritt", sagt Pauls Bruder C. J.: "Er weiß ganz genau: Es sind noch vier weitere bis zum Ziel."

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