Süddeutsche Zeitung

Stehplätze in der Champions League:Kraftwerke in den Kurven

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Stehplätze sind in dieser Europacupsaison wieder zugelassen, zunächst als Pilotprojekt. Für die deutschen Teilnehmer ist das aber nur ein kleiner Vorteil.

Kommentar von Philipp Selldorf

Für das Champions-League-Spiel gegen den FC Kopenhagen am frühen Dienstagabend hatte Borussia Dortmunds digitale Verkaufsstelle zu Wochenbeginn noch einige Karten im Angebot. Im Block 13 etwa waren in der Reihe 37 die Plätze Nummer sieben und fünf verfügbar, und auch im Nachbarblock fand sich noch Raum für Gruppenbuchungen. Das wäre an sich nicht der Rede wert, selbst in Dortmund ist wochentags das Stadion nicht immer ausverkauft. Aber diesmal ist es halt doch eine Besonderheit, weil die Karten lediglich 18,50 Euro kosten - und vor allem weil sie einen Stehplatz versprechen. Denn das ist neu in dieser Europacupsaison: Der BVB bekommt mit der Zulassung von Stehplätzen seine sogenannte gelbe Wand zurück und damit, wie man feierlich sagen darf, ein Stück seiner Identität.

Sechs Jahre nach der Einführung der Champions League 1992 hatte die Uefa Stehplätze aus Sicherheitsgründen verboten, im Sommer hat sie die Wiedereinführung der begehrten billigen Plätze beschlossen. In Deutschland, Frankreich und England dürfen Zuschauer im Stadion ab sofort wieder aktiv stehen, statt gezwungen sitzen zu müssen (die italienischen und spanischen Klubs mussten mangels Kapazitäten die Teilnahme am Pilotprojekt absagen).

Zunächst geschieht dies im Rahmen eines "Beobachtungsprogramms". Unabhängige Experten sollen die Situation und die Folgen begutachten. Der Feldversuch ist auf ein Jahr befristet, aber wenn die von der Uefa beauftragten Verhaltensforscher positive Testberichte liefern, soll der ständigen Erlaubnis nichts im Wege stehen. Fan-Vereinigungen sind vorsichtig begeistert und loben den Verband für die Öffnung.

Sportlich ist für diese Champions-League-Staffel das gewohnte Drehbuch zu erwarten

Für die deutschen Teilnehmer am großen Europapokal ist die Wiederherstellung der Kraftwerke in den Kurven sicherlich ein kleiner Vorteil. Sie gewinnen gewohnte Heimspielatmosphäre zurück. Dennoch erhöhen sich die Aussichten auf einen deutschen Champions-League-Sieger nicht nennenswert. Die inspirierende Energie durch die swingenden Fanblöcke ist das eine, die überlegene Klasse der Kader von Real Madrid, Manchester City oder Paris Saint-Germain das andere. Numerisch ist die Bundesliga dank des in die erste Klasse beförderten Europa-League-Gewinners Eintracht Frankfurt zwar so gut vertreten wie keine zweite Liga. Aber als ernsthafter Titelanwärter kommt wie üblich nur der FC Bayern in Frage.

Sportlich darf das Publikum für die nächste Staffel das gewohnte Drehbuch erwarten. Die Elite wird ab dem Viertelfinale im Frühling wieder unter sich sein, Ausnahmen vom Kaliber FC Villarreal bestätigen die Regel. Die Champions League wird dann wieder der Schauplatz sein, auf dem sich das Kartell der großen Klubs aus England, Spanien, Deutschland, Italien und Paris zu den entscheidenden Duellen trifft. Man mag das beklagen und verurteilen. Doch auch dies ist ziemlich sicher: Die Spiele werden wieder faszinierend sein, und die Champions League wird die größte Versuchung sein, seit es Fußball gibt.

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