Süddeutsche Zeitung

Champions League:"Setz dich neben deine Frau und iss eine Tüte Chips"

Lesezeit: 3 min

Von Birgit Schönau, Rom

Was für ein Abgang: furios, ungezähmt und stolz wie ein Löwe. Von wegen Tränen, von wegen Trauer. In seinen mutmaßlich letzten Sekunden in einem Champions-League-Spiel protestierte Gianluigi Buffon, der Torwart von Juventus Turin, zunächst vehement gegen jenen Strafstoß, den der Schiedsrichter Michael Oliver gerade gegen Turin verhängt hatte. Oliver zog die rote Karte - Buffon kassierte damit den ersten Platzverweis nach 117 internationalen Einsätzen. "Ma vai a cagare", schnaubte der 40 Jahre alte Italiener dem sieben Jahre jüngeren Briten ins Gesicht, eine vermutlich auch international verständliche Einladung zur unverzüglichen Darmentleerung.

Dann schritt Buffon wild mit den Händen fuchtelnd, aber erhobenen Hauptes vom Platz, unter dem Applaus des Publikums, das ihn schon vorher gefeiert hatte bei seinen drei großartigen Paraden gegen Real Madrids Angreifer. Und überhaupt zum Dank für so viele gemeinsam verbrachte große Fußballabende mit Gigi Grandezza im Bernabéu-Stadion.

Der Elfmeter war gerechtfertigt, die rote Karte nicht

Real Madrid gegen Juventus Turin, das ist längst ein Klassiker des europäischen Spitzenfußballs, zuletzt trugen diese beiden Teams im vergangenen Juni das Champions-League-Finale aus. Die Spanier gewannen und sind jetzt zum dritten Mal in Serie auf Titelkurs. Zuvor aber waren Gigi und seine Juve in Madrid wieder mal ein Ereignis: In 61 Minuten hatten die nach der 0:3-Klatsche im Hinspiel vorzeitig totgesagten Italiener Real die drei Gegentore heimgezahlt, hatten auf Augenhöhe gespielt, ihre ganze Klasse gezeigt. Es stand 3:0 für Juventus, die Sensation musste nur noch in die Verlängerung gehen, als in der Nachspielzeit Medhi Benatia seinen Gegenspieler Lucas Vázquez im Strafraum berührte. Oliver entschied auf Elfmeter, eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung.

Die rote Karte gegen Buffon aber: Die war einfach nur irre. Ein 33 Jahre alter Referee stellt den Juve-Kapitän vom Platz, weil der in einer emotionalen Ausnahmesituation protestiert hat und nimmt diesem Spieler so auch noch die Chance, selbst den Fehler des Kollegen Benatia wettzumachen - im Tor, gegen Cristiano Ronaldo. Für Buffon kam der Pole Szczęsny. Ronaldo traf zum 1:3, Real war weiter.

"Ich will hier nicht die Entscheidung zum Elfmeter beurteilen", sagte Buffon später, als er sich etwas abgekühlt hatte, wenn auch noch nicht auf Normaltemperatur: "Aber man kann sich nicht derart zum Protagonisten aufschwingen, wenn man nicht die nötige Persönlichkeit für eine solche Bühne hat. Mensch, wenn du das nicht hast, setz dich auf die Tribüne, neben deine Frau, und iss eine Tüte Chips!" Um anschließend ... siehe oben! Diesmal fügte Buffon hinzu: "Um so etwas zu machen, muss man anstelle des Herzens einen Mülleimer eingepflanzt haben. Der hat nicht kapiert, wo er sich befand. Der hat nicht kapiert, welche Mannschaften da spielten. Der hat einen Scheiß kapiert."

Mit ein wenig Abstand, erklärte Buffons ehemaliger Teamkollege Alessandro Del Piero erschrocken, "würde Gigi das sicher anders formulieren". Denn mit dieser Tirade, liebe Kinder, hat Gianluigi Buffon natürlich seine Vorbildfunktion nicht erfüllt. So etwas sagt man nicht, schon gar nicht über Schiedsrichter, und ja: Chips sind sehr, sehr ungesund. Wer zu viel Chips isst, der wird kein Buffon, vielleicht noch nicht mal ein Michael Oliver, falls da jemand Ambitionen haben sollte.

Auch gibt es keinesfalls Menschen, die anstatt ihres Herzens einen Mülleimer in sich tragen - na ja, nicht besonders viele, man erkennt sie allerdings sofort. Deshalb: Keinesfalls nachmachen, beim nächsten E-Jugend-Match, okay?

Wieder eine Umarmung mit Cristiano Ronaldo

Andererseits - und hier verlassen wir die trockenen Pfade der Turnvater-Jahn-Moral, um uns ins pralle Leben des großen Volkstheaters Fußball zu stürzen - hat Gigi Grandezza selbst in den absurdesten Minuten seiner riesigen Karriere keinen Zoll an Würde eingebüßt. Er hat nicht einem listig stichelnden Gegenspieler den Kopf in die Brust gerammt, wie 2006 der nun mephistophelisch am Rasenrand grinsende Real-Coach Zinédine Zidane. Er hat sich nicht melodramatisch die Haare gerauft und auch nicht gegen die Bande getreten.

Buffon hat nur im Aufwallen der Gefühle einem Schiedsrichter gesagt, dass er eine Pfeife ist. Als der Schlusspfiff erklungen war, die Spieler wieder Zivilkleidung trugen und Buffon im Fernsehen sprach, lief ein Kollege von Real durchs Bild. Es war Cristiano Ronaldo. Die beiden umarmten sich.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2018
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