Süddeutsche Zeitung

Lazio Rom in der Champions League:Bauchlandung im Swimming Pool

Lesezeit: 3 min

Lazio Rom zerbricht an den eigenen Erwartungen und geht gegen die Bayern unter. Selten hinterließ die Abwehr eines italienischen Klubs einen derart überforderten Eindruck.

Von Oliver Meiler, Rom

Zwischen Abwehren und Verteidigen gibt es einen feinen Unterschied, man hört es schon raus. Im Abwehren steckt: verhindern, Dämme bauen, blocken. Der italienische Fußball hat dafür einst den "Catenaccio" erfunden, von catena: Kette, Riegel. Für diese destruktive Riegeltaktik - hinten alles zu! - wurde man oft kritisiert, wobei zur Ehrenrettung der Italiener gesagt sein muss, dass der Erfinder des Systems ein Österreicher war: Karl Rappan, Trainer von Servette Genf, 1932 - lange her. Zu einer Philosophie und Meisterschaft entwickelten den "Catenaccio" aber die Italiener. Dem Verteidigen hingegen hängt ein nobler Beiton an: Man verteidigt das eigene Tor, das Herz der Mannschaft, damit es keine Schüsse abbekommt. Zwei Tunwörter, zwei Welten.

Nun, Lazio Rom tat weder das eine noch das andere, und das kann ja nicht gut gehen gegen den Weltmeister der Klubs in diesem Sport, den FC Bayern. Das 1:4 daheim im Stadio Olimpico war eine "Zerstörung", so jedenfalls nannte es die römische Zeitung La Repubblica: "Selten hat man auf diesem Niveau und in diesem Stadium der Champions League einen solch großen Klassenunterschied gesehen." Bayern, befand das Blatt, sei ein viel zu hoher Berg, als dass man ihn mit Flipflops besteigen könne.

"Blackout Lazio", titelte der ebenfalls römische Corriere dello Sport, als wäre mal kurz etwas schief gelaufen. Eine Trostnote für die vielen Laziali unter den Lesern wurde beigefügt: "Nur im Traum konnte man hoffen, dass es ein anderes Spiel werden würde, dass das Ergebnis weniger schwer ausfiele" - Fatalismus also. Lazios Verteidigung aber, betonte auch der sonst immer nachsichtige Corriere, sei "imbarazzante" gewesen, desolat, peinlich. Und das ist im kulturellen Verständnis des Calcio nun mal unverzeihlicher als eine schwache Offensivleistung, eigentlich unentschuldbar.

Lazio spielte mit einer Behelfsabwehr, einer Dreierkette ohne Kette gewissermaßen. Zwei Stammspieler waren verletzt, Stefan Radu und Luiz Felipe. Doch bei aller Klage über das Verletzungspech: Bayern war auch nicht komplett angereist, und auf diesem Niveau, im Achtelfinale der Königsklasse, sollten die Alternativen auf der Bank zumindest gut genug sein, dass man nicht gleich zusammenbricht. Zumal Lazio seit 21 Jahren nicht mehr an so prominenter Stelle Fußball spielen durfte.

Es waren erst neun Minuten um, als Mateo Musacchio, 30, immerhin ein früherer argentinischer Internationaler und einst in Diensten des AC Mailand, den Ball so zum Torwart zurückschob, dass der in den Pfützen des zuvor dauergesprengten Rasens gebremst wurde. Robert Lewandowski erlief ihn locker, fürs 1:0 der Bayern. Warum der Platz unter Wasser gesetzt wurde, als wäre er die Fontana di Trevi oder ein Swimming Pool, wie die Zeitungen schreiben, ist wohl das Geheimnis von Lazios Vereinsleitung und Platzwart. Dachte man, der schnelle Boden gereiche zum Vorteil - ausgerechnet gegen die schnellen Stürmer der Bayern? Der arme Musacchio wurde nach 29 Minuten ausgewechselt.

Trainer Simone Inzaghi gibt sich außergewöhnlich selbstkritisch

Auf der rechten Abwehrseite spielte Patric, bürgerlich Patricio Gabarrón, ein Spanier, 27, der im Nachwuchs von Barça groß geworden war, es bei den Katalanen aber nicht in die erste Mannschaft geschafft hatte. Wenn Laziali sich über die angebliche Schwäche ihres Kaders beschweren, fällt immer sein Name: Patric - als Chiffre fürs Ganze. Der gelernte Außenverteidiger sollte in der Personalnot mal wieder Innenverteidiger spielen, das kann er noch etwas weniger gut. Kingsley Coman bereitete ihm einen dieser Abende, die man als Spieler wohl gerne gleich aus dem Gedächtnis löschen würde, vor allem die Szene in der 42. Minute, an der Mittellinie. Patric befiel mal wieder die Lust, es mit einer Aktion allen Miesepetrigen zu zeigen. Er verlor den Ball an Coman, versuchte noch, den Münchner am Trikot festzuhalten, hechtete ihm nach, damit der nicht die offene Prärie vor ihm für einen Konter nutzen konnte. Das sah alles schon sehr unbeholfen aus, 0:3.

Und dann war doch noch Francesco Acerbi, 33, italienischer Nationalspieler. Sie nennen ihn Löwe, er ist eine echte Größe bei Lazio. Als Italien neulich gegen Polen spielte, hielt er Lewandowski in Schach, darauf baute man. Nun, Acerbi hatte nicht nur zu Musacchios verhängnisvollem Rückpass geraten, was Sky Italia nicht entging: Sein ausgestreckter Arm wurde in der Halbzeitpause bei der Verlangsamung rot eingekreist. Acerbi traf später auch noch ungewohnt tapsig ins eigene Tor - ins Herz. 0:4.

Danach habe Bayern "relaxt", schreibt die Gazzetta dello Sport - nicht wie damals, im Oktober 2014, als sie im selben Stadion dem AS Rom ein 7:1 zufügten.

Lazios Trainer Simone Inzaghi gab sich vor der Presse außergewöhnlich selbstkritisch: "Wir sind noch nicht bereit für solche Herausforderungen", sagte er. Nichts sei gut gegangen, man sei an den eigenen Erwartungen zerbrochen, am Lampenfieber. Dann sagte er noch einen Satz, der sich wie eine Lektion für Abwehrspieler anhörte - oder für Verteidiger, je nachdem. eine Unterweisung: "Die Tore hätten die Bayern eigentlich selbst machen müssen", sagte Inzaghi: "Stattdessen haben wir mindestens drei für sie gemacht - oder auch alle vier." Der "Catenaccio" mag aus der Mode gekommen sein, manchmal aber würde er die Kleinen wenigstens vor der Schmach bewahren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5215982
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.