Süddeutsche Zeitung

Champions League:Guardiolas Plan geht auf

Lesezeit: 4 min

Von Javier Cáceres, Madrid

Es war keine lange Audienz, die Toni Kroos, 30, in der Mixed Zone des Estadio Santiago Bernabéu gewährte. Aber sie war lang genug, um nach der 1:2-Pleite von Real Madrid im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Manchester City bei einer Reihe von Beobachtern den Eindruck zu hinterlassen, dass es in dem als kühl geltenden Mecklenburger gärte. Wie es um das werte Befinden stehe, wurde Kroos gefragt, als er bei den Reportern der spanischen Radiosender vorbeilief, und Kroos antwortete mit der ihm eigenen Aufrichtigkeit, Lakonie und gutbürgerlichen Kinderstube: "Körperlich sehr gut", sagte er, so berichten es jedenfalls Ohrenzeugen.

Eine banale, an Irrelevanz nicht zu überbietende Auskunft? Qué va, wie man in Spanien sagen würde - von wegen! Es waren vielmehr Sätze, aus denen sich prima Geschichten stricken lassen, die ihren eigenen Kontext entwickeln. Anders formuliert: Willkommen bei Real Madrid!

Es war ein durch und durch seltsamer Abend, den Kroos erlebte. Kroos auf der Bank? Das war die Frage, die sich vor der Partie durch Madrid wälzte, während der Partie die Kommentatoren auf der Pressetribüne beschäftigte und auch den Gegner Manchester City stutzig gemacht hatte, wie Ilkay Gündogan, Kroos' Kollege in der Nationalauswahl, nach der Partie verriet.

Er sei schon "ein bisschen überrascht" gewesen, gestand Gündogan im TV-Sender Sky. "Ich dachte erst, er wäre verletzt. Ich habe ihn - wir haben ihn als Team - erwartet. Wenn er spielt, ist er ein Anker für Real", fügte Gündogan an. Seit 2014, dem Jahr, da Kroos zu Real Madrid stieß, hat Spaniens Rekordmeister in der Champions League 30 K.-o.-Rundenspiele bestritten, 28 Mal stand Kroos in der Startelf; bei einer Partie gegen Paris St.-Germain war er angeschlagen. Die Party gegen City war so gesehen das erste große Spiel Reals, das Kroos nach 2014 verpasste. Und das, obwohl er eine allseits gelobte Saison spielt.

Den Grund dafür, dass er nur auf der Bank sitzen würde, erfuhr Kroos in einem Vieraugengespräch von Zidane selbst - bevor im Besprechungsraum der Mannschaft in Real Madrids Sportstadt Valdebebas die Aufstellung für die Partie gegen City bekannt gegeben wurde. Die Gründe, die Kroos erfuhr, waren die gleichen, die Zidane später den Medien in der Pressekonferenz sagen sollte: Kroos sei "ein sehr wichtiger Spieler" für ihn und das Team, die Absenz habe rein taktische Gründe gehabt. Er hatte darauf gebaut, dass sein flinker Stürmer Vinícius die City-Abwehr vor Probleme stellen würde. Und wer weiß, worüber geredet worden wäre, wenn Madrids 1:0 Bestand gehabt hätte. Nach einem schlimmen Fehler von Kyle Walker im Aufbauspiel landete der Ball bei Vinícius, der Brasilianer legte quer auf Isco Alarcón, der keine Mühe hatte, den gleichwohl glänzenden Torwart Ederson zu überwinden (60.). Dann wechselte Guardiola den zuletzt verletzten Stürmer Raheem Sterling ein - und das Spiel nahm eine Wendung, die revolutionär anmutete.

Real hatte nach der Führung ein Übergewicht entwickelt, und doch schien die Saat Guardiolas aufzugehen. Auch er hatte eine Überraschung parat gehabt und auf den Strafraumstürmer Kun Agüero verzichtet, weil er den Angriff so breit wie möglich aufziehen wollte. Wenn sie frontal zum Ball stehen, seien Reals Innenverteidiger Sergio Ramos und Raphael Varane - gepaart mit den defensiven Mittelfeldspielern Fede Valverde und Casemiro - nicht zu schlagen, so sein Kalkül.

Anstelle von Agüero begann daher Gabriel Jesus als verkappter Linksaußen, um Reals Rechtsverteidiger Carvajal zu beschäftigen; der brillante Ex-Wolfsburger Kevin De Bruyne wechselte sich mit Jesus als falsche Neun ab, Bernardo Silva und Riyad Mahrez taten es auf der rechten Seite ähnlich. Aber es war Sterling, der schließlich auf der linken Seite die Räume in Carvajals Rücken nutzte: Nach einer Kombination mit Sterling schlug De Bruyne eine Flanke auf den Kopf von Gabriel Jesus, der per Kopf verwandelte. Dann holte Sterling gegen Carvajal einen vollauf berechtigten Elfmeter heraus, den De Bruyne zum 2:1 verwandelte.

Dass in der 86. Minute auch noch Real-Verteidiger Sergio Ramos wegen einer Notbremse vom Platz flog, verlieh dem Abend eine historische Note. Denn Schiedsrichter Daniele Orsato ging als der erste Schiedsrichter in die Geschichte des europäischen Königswettbewerbs ein, der im Bernabéu-Stadion einen Elfmeter und eine rote Karte gegen Real Madrid dekretierte. Sergio Ramos wiederum darf nun stolz darauf sein, mit den legendären Edgar Davids und Zlatan Ibrahimovic gleichgezogen zu haben, den Spielern mit den meisten roten Karten der Champions-League-Geschichte, nämlich vier. Nun fehlt er im Rückspiel, was verdächtig an das vergangene Jahr erinnert. Denn da fehlte Ramos wegen einer absichtlich provozierten Sperre im Achtelfinal-Rückspiel gegen Ajax Amsterdam. Und Real ging im eigenen Stadion gegen die Niederländer nach einem 2:1-Sieg im Hinspiel noch 1:4 im eigenen Stadion unter.

In Madrid kursiert nun die Angst, dass sich die Geschichte wiederholt. Die Ähnlichkeiten zum vergangenen Jahr sind so zufällig wie verblüffend. Am Donnerstag war es auf den Tag genau 365 Tage her, dass Real im spanischen Pokal gegen den FC Barcelona 0:3 verlor; wenige Tage darauf verspielte Real ebenfalls gegen Barça die Chancen auf den Meistertitel in der Liga. Dann folgte besagtes 1:4 gegen Ajax.

Die Symptome sind nun ähnlich: Im Pokal ist Madrid (gegen San Sebastián) ausgeschieden, die Partie steht für eine der drei Niederlagen aus den letzten fünf Spielen. Nach dem 1:2 gegen City am Mittwoch ist Real in der Champions League groggy, am Sonntag reist der FC Barcelona als Spitzenreiter zum Clásico an. Eine neuerliche Pleite gegen den Erzrivalen würde dazu führen, dass die Debatten über die Zukunft von Reals Trainer Zinédine Zidane nicht mehr nur sotto voce geführt werden. Vor dem Sonntag ist nur eines klar: Nach seiner 90-minütigen Pause vom Mittwoch gegen City wird Kroos wieder dabei sein.

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SZ vom 28.02.2020
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