Süddeutsche Zeitung

Atlético Madrid:Der Sohn von Salat

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Bayern-Gegner Atlético Madrid glaubt wieder an sich selbst: auch dank Marcos Llorente. Der Mittelfeldspieler weist einen prominenten Fußball-Stammbaum auf - und überraschte bereits auf ganz großer Bühne.

Von Javier Cáceres

Marcos Llorente, 25, ist ein Fußballer, der keine Scheu vor großen Bühnen hat. Und der vielleicht genau deswegen auch derjenige war, der Atlético Madrid, seiner Mannschaft, in der vergangenen Saison einen der größten Siege überhaupt bescherte. Das war am 11. März 2020, an der Anfield Road von Liverpool, im Achtelfinale der Champions League, als sich die Welt, ohne es wirklich zu wissen, an der Schwelle zur sogenannten neuen Normalität befand.

2:0 führte der von Jürgen Klopp trainierte Königsklassen-Titelverteidiger gegen Atlético in der Verlängerung; der spätere Premier-League-Meister war mit diesem Spielstand in der nächsten Runde. Dann kam der eingewechselte Marcos Llorente, schoss zwei Tore (97./105.+1) und bahnte damit einem 3:2-Sieg den Weg, den der heute an Juventus Turin verliehene Álvaro Morata in der letzten Minute sicherstellte. "Atlético glaubt an Wunder", titelte anderntags die Zeitung El País, und das hatte Nachrichtenwert. Denn wenn es einen Verein gibt, der seit dem Finale von 1974, seit jenem Fernschusstor von Georg "Katsche" Schwarzenbeck vom FC Bayern, stets mit dem Schicksal hadert, sobald es um die wichtigste Klubtrophäe der Welt geht, dann: Atlético Madrid.

"Diese Nacht wird in meinem Kopf und in den Köpfen meiner Familienangehörigen bleiben", sagte Marcos Llorente nach seinem Doppelschlag von Liverpool, und das sind Worte, die er nicht so einfach dahinsagt. Er stammt aus einer Fußballersaga mit verzweigtem Stammbaum, bei Familienfesten erzählten ihm gleich mehrere Verwandte von ebensolchen Bühnen wie Liverpools Anfield Road, aus erster Hand.

Llorentes Großonkel und Vater gewannen Titel mit Real Madrid

Die wichtigsten Stränge: Der große Paco Gento ist sein Großonkel, er hat mit Real Madrid gleich sechs Mal den wichtigsten Pokal des europäischen Vereinsfußballs gewonnen, die meisten davon an der Seite von Alfredo Di Stéfano und Ferenc Puskas. Vater Paco Llorente kann seit Ende der 1980er-Jahre immerhin auf drei Meisterschaftstitel und zwei Pokale mit Real Madrid zurückblicken. "Es macht mich stolz, dass mein Großonkel so viele Titel gewonnen hat. Es wäre Bombe, es ihm nachzutun", sagte Marcos Llorente bei einem Gespräch an einem virtuellen runden Tisch, an dem die Süddeutsche Zeitung teilnahm. "Meine Verwandten sind sehr wichtig für mich. Es ist ein Privileg, sie als Familienangehörige zu haben. Sie haben mir sehr geholfen und mich auf einen guten Weg gebracht." Der Vater, der einst den Spitznamen "Lechuga" trug, "Salat", weil er sich fleischarm ernährte, konditionierte den Sohn dahingehend, dass er die sog. Steinzeitdiät befolgt. Und zwei vegetarische Restaurants in Madrid unterhält.

Dass ebendieser Weg 2019 zu Atlético führte, war ungewöhnlich. Denn Atlético zahlte 40 Millionen Euro Ablöse an Real Madrid, das normalerweise keine direkten Rivalen beliefert. Marcos Llorente sollte Rodri ersetzen, der zu Manchester City gewechselt war, doch das gestaltete sich schwierig. Trainer Diego Simeone fand keine richtige Verwendung für ihn. Davon, dass Llorente mal als defensiver Mittelfeldabräumer angedacht war, ist keine Rede mehr; er wird nun weiter vorne im Mittelfeld aufgestellt oder ausnahmsweise - wie an der Anfield Road - im Sturm. Am Montag war er im Training im 4-4-2-System auf der rechten Außenbahn zu sehen. Ob er an diesem Mittwoch beim FC Bayern in München in der Startelf steht, ist noch offen - aber sicher nicht ausgeschlossen.

Nur Messi verdient mehr als Simeone

"Es ist immer schwierig, sich in einem neuen Team zurechtzufinden", sagt Llorente über seine Anfangszeit bei Atlético, "zumal der Míster (Simeone) schon speziell ist. Er füttert dich immer mit Ideen über mentale Stärke und Fragen der Einstellung. Aber nicht nur der Míster, auch die Assistenten sind sehr energisch, aggressiv. Sie erlauben es uns nicht, sich zu entspannen, und das sieht man auf dem Rasen."

Das ist mittlerweile seit 2011 der Fall. An Heiligabend wird Simeone, 50, in sein zehntes Arbeitsjahr bei Atlético gehen. Dort hat der Argentinier ein solches Standing entwickelt, dass er heute fast der teuerste Angestellten der spanischen Liga ist. Es gibt nur noch einen, der mehr verdient: Barcelonas Lionel Messi. Simeone sackt bei Atlético angeblich mehr als 20 Millionen Euro jährlich ein - netto. Hinterfragt wird das nicht. Denn der Míster verleiht dem Klub eine Identität, die nun durch den namhaftesten Zugang verstärkt wurde: Uruguays Nationalstürmer Luis Suárez, der beim FC Barcelona vergrault wurde. "Es ist großartig, dass er da ist. Mit ihm machen wir einen Qualitätssprung", sagt Llorente.

Dieser Sprung ist, so glaubt er, gegen die Bayern auch vonnöten. In Spanien haben sie deren jüngste Auftritte, gerade das 8:2 gegen Barcelona, nicht vergessen. "Es ist im Moment die beste Mannschaft der Welt", so Llorente: "Wenn du ihnen Raum gibst oder Fehler machst, zermalmen die dich." Aber daraus erwächst keine Angst, schon gar nicht bei Llorente. Denn von den großen Bühnen weiß er alles, oder zumindest mehr als genug.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2020
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