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Carlsens Sieg bei der Schach-WM:Anand patzt übermütig mit dem Turm

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Magnus Carlsen verteidigt seinen Titel bei der Schach-WM, obwohl Gegner Viswanathan Anand besser spielt als vor einem Jahr. Als dem Inder in der elften von zwölf möglichen Partien ein Fehler unterläuft, steht Carlsen bereit.

Von Johannes Aumüller, Sotschi/München

Als der entscheidende Moment gekommen war, dachte Viswanathan Anand gar nicht allzu lange nach. Seit mehreren Zügen hatte er auf diese Stellung hingearbeitet, jetzt ging er noch einmal etwas mehr als drei Minuten die diversen möglichen Varianten durch. Dann nahm er einen Turm in die Hand und stellte ihn auf dem Feld b4 wieder ab - es war der Moment, in dem Anand diesen Weltmeisterschafts-Kampf gegen den Titelträger Magnus Carlsen verlor.

Partie elf von zwölf möglichen stand am Sonntag in Sotschi an. Anand hatte schwarz, und die Mehrheit der Beobachter war davon ausgegangen, dass er an diesem Tag schon mit einem Remis zufrieden sein würde, um dann am Dienstag mit den weißen Figuren auf Angriff zu spielen. Doch der Inder dachte gar nicht daran, dieser defensiven Parole zu folgen. Schon in der Eröffnung zeigte er sich stark präpariert und im Mittelspiel versuchte er nachdrücklich, ein Remis zu vermeiden. Stattdessen ging er aggressiv zu Werke, erkämpfte sich eine bessere Position - und dann kam dieser 27. Zug. Der Moment, in dem Anand den Turm auf b4 rückte.

Es war eine riskante Wahl, ein "Qualitätsopfer", wie es in der Schachsprache so schön heißt. Anand wusste, dass er mit diesem Zug den Turm verlieren und dafür lediglich einen Läufer erhalten würde. Rein vom Wert der Figuren her ist das ein nachteiliger Tausch, doch diese Aktion war kein Fehler, sondern Anand nahm sie bewusst in Kauf, weil er sich von der Stellung ein paar andere Vorteile versprach. Mit solchen Opfern in bedeutenden Partien können Schachspieler in die Geschichte ihres Sports eingehen. Tigran Petrosjan, Weltmeister von 1963 bis 1969, war ein Meister dieser Momente, für manche Experten gibt es kaum eine faszinierende Partie als das Turmopfer von Garry Kasparow gegen Wesselin Topalow 1999.

Allein: Die großen historischen Momente von Petrosjan und Kasparow waren in Sotschi weit weg. Anand hatte sich mit dem Turm-Manöver und den folgenden Zügen etwas verkalkuliert. Zunächst war Carlsen zwar merklich beeindruckt, doch schon ein paar Minuten später war die Lage relativ eindeutig: Vorteil Carlsen und am Ende Partiesieg Carlsen.

Mit 6,5:4,5 verteidigte der Norweger seinen Titel. Es war der Schlussakkord eines bemerkenswerten WM-Kampfes. Hier der junge Carlsen, erst 23 Jahre alt und derjenige, der dem Sport mit seinem Auftreten und seiner Art zu einer ganz neuen globalen Beachtung verholfen hat; hier Anand, bereits 44 Jahre alt, ein Vertreter der klassischen Schach-Welt. Hier Carlsen, der den harten Kampf im Endspiel liebt, dort Anand, der brillante Theoretiker für die Eröffnungen. Schon im Vorjahr hatten sich die beiden um die WM-Krone duelliert - damals deklassierte Carlsen seinen Kontrahenten. In diesem Jahr war es deutlich knapper.

Viele Partien waren sehr eng, ein Mal gewann Anand, und neben seinem Turm-Manöver am Sonntag dürfte dem Inder vor allem eine Szene in Erinnerung bleiben: Als er in der sechsten Partie einen Fehler von Carlsen schlicht übersah - und am Ende verlor. "Es war viel schwieriger in diesem Jahr. Anand hat diesmal viel besser gespielt", resümierte Carlsen, der für den Erfolg dem Vernehmen nach 900 000 Dollar erhält. Anand, für den es immerhin noch zirka 600 000 Dollar gibt, sagte: "Ich habe etwas riskiert und bin dafür bestraft worden."

Für viele war es eine Überraschung, dass sich Anand überhaupt noch einmal für einen WM-Kampf qualifizieren konnte. Sein Auftritt in Sotschi war verblüffend stark. Dennoch zweifelt die Schachszene daran, dass es zu Carlsen versus Anand, Teil III kommt. Sie rechnet mit dem großen Aufeinandertreffen der Jugend: Magnus Carlsen, 23, gegen den Italiener Fabiano Caruana, 22.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2014
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