Süddeutsche Zeitung

Schach:Carlsen vom Mond

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Der weltweit führende Schachspieler steckt in einer Motivationskrise. Mit Überheblichkeit gegenüber seinen Gegnern wird er diese nicht bewältigen.

Kommentar von Volker Kreisl

Die Meldung drohte unterzugehen diese Woche, zwischen Fußball, Radsport und Golf, dabei war sie doch spektakulär und durchaus skurril.

Ein Weltmeister will seinen Titel nicht mehr verteidigen. Er sei müde, immerfort zu gewinnen, sagt Magnus Carlsen - mit 31 Jahren müsse es noch mehr geben im Leben, also trete er nicht mehr an. Gut, da warten noch jene Gegner, die auch mal Weltmeister sein wollen und dazu eigentlich ihn, den Besten bezwingen müssten, aber das ist jetzt deren Sache. Obwohl, der eine, dieses französisch-iranische Wunderkind Alireza Firouzja, das würde ihn noch reizen, nicht aber der offizielle Herausforderer, Jan Nepomnjaschtschi. Der Russe habe ihn schon gelangweilt, als er ihn bei der zurückliegenden Weltmeisterschaft besiegte, sagt Magnus Carlsen. Der norwegische Großmeister und Schach-Varianten-übergreifend 14-malige Weltmeister, er mag nicht mehr.

Im Alter von fünf Jahren hatte Carlsen die Schachregeln gelernt, mit 13 wurde er Großmeister, als 19-Jähriger eroberte er Platz eins der Weltrangliste, und auf dem sitzt er ohne Unterbrechung bis heute. Die Art, wie Carlsen nun seine Gegner abtat, ist aber wohl nicht so extrem arrogant, wie sie rüberkommt, genauso wenig wie die allgemeine Lage dieses Schach-Genies amüsant wäre. Es handelt sich eher um ein Drama.

Carlsen produziert nun Podcasts über Casino-Abende in Las Vegas

Carlsen behält sich ausdrücklich vor, irgendwann wieder einzusteigen, doch wie eine geplante kurze schöpferische Pause wirkt die Situation gerade nicht. Zu plötzlich ist ihm die Lust abhandengekommen, sonst hätte er wenigstens die aktuelle Herausforderung als Titelverteidiger noch annehmen können. Carlsen produziert nun oberflächliche Podcasts über Casino-Abende in Las Vegas, es wirkt eher, als sei er auf der Flucht vor seinem Sport.

Dabei dürfte es ihm so gehen wie manch anderen sogenannten Genies, die schon als Kinder von Erwachsenen bewundert wurden, als Jugendliche zu Ruhm gelangten, Rekorde gebrochen und nach 20 Jahren früher Karriere schließlich alle abgehängt haben. Carlsen will in diesem Laufbahnabschnitt aber keineswegs auf seine Stellung verzichten. Er weiß, dass er der Beste seines Sports ist, und will weiter Schach spielen, am Brett bleiben. Weil er aber Weltmeisterschaften verschmäht, muss er nun auf sonstige Weise Weltbester bleiben.

Fraglich ist, wie das seinen Sportsgeist befriedigen soll, so ohne Gegner. Vielleicht ist die Trennung vom Rest der Konkurrenz auch das Schicksal eines Ausnahmetalents. Dieses beginnt seinen Sport zunächst in der Gesellschaft zahlreicher ernst zu nehmender Gegner. Die aber werden im Laufe der Jahre alle wegbesiegt, und weil Schlechtere das Genie langweilen, schrumpft die Gruppe der Kontrahenten, bis es alle hinter sich gelassen hat. Carlsens Situation wirkt wie eine Art selbstverordnete Einsamkeit des Allerbesten, ähnlich einem Raumfahrer, der Stufe für Stufe hinter sich abgeworfen hat und nun alleine auf dem Mond steht.

Vielleicht aber tritt Magnus Carlsen auch, wie es viele Nicht-Genies in einer Motivationskrise tun, zu einer echten Auszeit an. Einer schöpferischen Pause, in der er richtig Abstand von all dem nimmt, was ihm zu viel geworden ist, und entscheidet danach, entweder aufzuhören oder mit neuer Lust anzugreifen. Mag sein, dass er dann vielen schlechteren Gegnern respektvoll begegnen muss. Kann aber auch sein, dass er auf den seltenen Gegner trifft, der ihn besiegt.

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