Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Die Lokomotive rollt wieder

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Der BVB gewinnt nach einer starken Kollektivleistung 2:0 in Wolfsburg. Die Qualifikation für die Champions League scheint wieder möglich - und Kapitän Reus glaubt sogar an einen "psychologischen Vorteil".

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Es gehört zu den hohen Künsten eines Fußballtrainers, das vermeintlich Aussichtslose noch einmal möglich zu machen, entgegen aller Widerstände und mathematischer Wahrscheinlichkeiten. Und die vielleicht höchste Kunst ist, das alles mit dieser Art von Sieg zu kombinieren, wie ihn Edin Terzic am Samstag mit Borussia Dortmund eingefahren hat.

Dieser 2:0-Erfolg in Wolfsburg war nichts für Ästheten und Feingeister, die so ein Fußballspiel am liebsten mit feinen Pinselstrichen gemalt sehen, als ein fürs Auge ansprechendes Gesamtkunstwerk. Aber auch mit Hammer und Meißel lassen sich schöne Dinge kreieren, und ja, das konnten der BVB-Coach Terzic und seine Mannschaft hinterher auf jeden Fall für sich reklamieren: ein Spiel nach einer großen Kraftanstrengung gewonnen zu haben, mit viel Kampf und manchmal auch ein bisschen Krampf. Aber auch ein bisschen Glück sowie ein Stürmer namens Erling Haaland waren nicht ganz unbeteiligt.

Nicht weniger als ein "Endspiel" hatte Terzic im Vorfeld ausgerufen, und beim Schlusspfiff war ihm die Bedeutung der Partie auch anzusehen. Er ließ die Arme baumeln, die Spannung musste erst mal aus dem Körper weichen, ehe er mit allen abklatschte, die es in den vorangegangen 90 Minuten mit Schwarz-Gelb gehalten hatten. Ganz anders hingegen Haaland, der mit geballter Faust ein passioniertes "Yeeeeeees!" durch die Wolfsburger Arena brüllte.

Der BVB ist in der Tabelle wieder an die Konkurrenz herangerückt

Vor ein paar Wochen betrug der Rückstand auf den Drittplatzierten Wolfsburg noch satte elf Punkte, nach jetzt vier Siegen in Serie ist er auf lediglich zwei Zähler dahingeschmolzen. Und weil auch Eintracht Frankfurt im Abendspiel gegen Bayer Leverkusen verlor, fehlt auf den vierten Platz nur noch ein einziger Punkt. Die fast schon abgeschriebene Qualifikation für die Champions League scheint wieder möglich. "Diese Situation müssen wir jetzt nutzen", sagte Terzic, der auf der Pressekonferenz nach der Partie keinen euphorischen, aber einen sehr kämpferischen Eindruck machte: "Wir dürfen nicht nachlassen, wir müssen ganz viel Energie aus diesen Siegen tanken!" Ausdrückliches Lob hatte der BVB-Coach aber trotzdem auszusprechen. Insbesondere für die "herausragende" kämpferische Leistung seiner Mannschaft - und für Stürmer Haaland, dessen Person zuletzt für Unruhe im Umfeld des Klubs gesorgt hatte. Genauer: sein Vater und sein Berater Mino Raiola, die eine kleine Spritztour nach Spanien unternahmen, um mit der Beletage des europäischen Vereinsfußballs über die Möglichkeit eines Wechsels zu diskutieren.

Nach gängiger Interpretation erfolgte dieser Vorstoß, weil Haalands Interessenvertreter in Sorge über ein mögliches Jahr ohne Champions League waren. Am Samstag war es dann Haaland höchstselbst, der die Aussicht auf das Dortmunder Minimalziel wieder mit Leben füllte. Und zwar in einer Weise, wie es in der Bundesliga vielleicht nur er kann, durch zwei Aktionen im haalandischen Lokomotivmodus. In der zwölften Minute schnappte sich der Norweger einen misslungen Rückpass von Ridle Baku und rauschte mit voller Wucht in den gegnerischen Strafraum, wo er zum 1:0 für den BVB traf. Die Führung war zu diesem Zeitpunkt nicht unverdient, weil die Dortmunder gut in die Partie gefunden hatten und ihre Ballfertigkeit formidabel auszuspielen verstanden.

In der Folge änderte sich das aber, die Heimelf übernahm das Kommando, aber im letzten Angriffsdrittel mangelte es den sonst so effizienten Wolfsburgern wiederholt an der nötigen Präzision. Sogar bei VfL-Stürmer Wout Weghorst, der kurz nach der Halbzeit die beste Chance auf den Ausgleich vergab. "Die Luft wird dünn da oben", sagte VfL-Trainer Oliver Glasner mit Blick auf einige seiner Akteure, die "auf diesem Niveau" noch nicht häufig gespielt hätten. Und damit meinte er: jenes Königsklassen-Niveau, das der BVB in dieser Saison mit dem Einzug ins Viertelfinale und dem unglücklichen Scheitern an Manchester City durchaus unter Beweis gestellt hat.

"Ich glaube, dass wir jetzt psychologisch im Vorteil sind", sagte BVB-Kapitän Reus

Dem Wolfsburger Druck hielt der BVB mit großem Kollektivgeist entgegen, wodurch sich sogar das Fehlen des gelbgesperrten Abwehrchefs Mats Hummels kaum bemerkbar machte. Ihren neuralgischen Augenblick erlebten die Dortmunder in der 60. Minute durch einen Spieler, der zuletzt für sein fluffiges Spiel und seine Frühreife viel Lob erhalten hatte: Jude Bellingham, 17, trat nach einem Wolfsburger Konter ungestüm auf den Fuß von Kevin Mbabu, womit er zwar eine zweite Angriffswelle verhindern konnte, aber zu Recht die gelb-rote-Karte sah. "Eine doofe Aktion", sagte Terzic, aber ganz unwichtig war sie auch nicht.

Mit einer Mannschaft in Unterzahl verstärkte sich die bisherige Arithmetik des Spiels, was sich auch in einigen Statistiken zugunsten des VfL ausdrückte: Am Ende hatte die Heimelf deutlich mehr Torschüsse vorzuweisen, die höheren Ballbesitzanteile und mehr Kilometer abgespult. Aber sie hatte eben keinen Erling Haaland, den Norweger im Lokomotivmodus. Und sie hatte an diesem Tag eben auch keinen Raumöffner wie Mittelfeldmann Mo Dahoud, der in der 68. Minute nach einem Ballgewinn einen so anmutigen Pass spielte, dass Haaland durch die komplette gegnerische Hälfte walzen und das 2:0 erzielen konnte. "Er hat das Spiel entschieden", sagte Terzic mit dem Stolz eines Trainers, der in so einem "Endspiel" auf solch eine stürmische Naturgewalt vertrauen kann.

"Der Schlüssel" für den Sieg sei jedoch etwas anderes gewesen, analysierte Terzic: "Alle haben ihren Beitrag geleistet, dass wir die Null verteidigt haben." Einen möglichen Schlüssel für einen positiven Saisonausgang hat derweil BVB-Kapitän Marco Reus ausgemacht. Er sagte: "Ich glaube, dass wir psychologisch jetzt im Vorteil sind."

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