Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Was folgt auf das System Haaland?

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Der BVB muss seinen 85-Tore-Stürmer ersetzen, doch der Kaderumbau hört im Angriff längst nicht auf. Im Schatten von Haaland wurden viele Defizite angehäuft.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Namenswitze mögen seit Jahrzehnten uncool sein. Aber bei einem, den sie wegen seines norwegischen Namens Haaland oft mit onkelhaftem Grinsen Heiland genannt haben, darf man zum Ende wohl im Biblischen bleiben: " Es ist vollbracht." Und so scheinen sie bei Borussia Dortmund hauptsächlich erleichtert zu sein, dass der Top-Torschütze der vergangenen zweieinhalb Jahre nun - endlich - seinen Wechsel zu Manchester City in die Premier League bekanntgemacht hat. Die vergangenen Monate waren vor allem eine Abfolge von Verletzungspausen, medialen Dauerinterpretationen von Haalandschen Gesichtsausdrücken oder Gesten sowie stündlich wechselnden Transfergerüchten. In Dortmund waren sie's leid.

Am Dienstagabend hatte der BVB immerhin noch das kleine Privileg, als Erster die Trennung zu melden - offiziell an die Aktionäre, weil das Wertpapier-Recht das so verlangt, als "Ad-hoc-Mitteilung", wie es auf Börsen-Latein heißt. Den Besitzern von BVB-Aktien wurde jedenfalls in blechernem Verlautbarungsdeutsch mitgeteilt, dass durch den wahrscheinlichen Wechsel des Norwegers im kommenden Geschäftsjahr (also erst ab 1. Juli 2022 bis 30. Juni 2023) ein "positiver Effekt auf die Ergebniszahlen" in der "Größenordnung von 35 bis 40 Millionen Euro" zu erwarten sei. Abgewickelt wird der Transfer erst nach dem 1. Juli, weil erst dann die Fifa-Transferphase beginnt.

Wer angesichts der stets kolportierten festgeschriebenen Ablösesumme von 75 Millionen Euro verwirrt ist, hat nicht bedacht, dass das alles hauptsächlich Business ist. Dortmund hat die 75 Millionen nie offiziell bestätigt. Englische Medien vermelden gerade unrealistische 60 Millionen, andere Quellen berichten von 90 Millionen Euro. Fest steht, dass der BVB vom Kuchen einiges abgeben muss, etwa an Haalands Ausbildungsklubs FK Bryne, FK Molde und RB Salzburg, aber vor allem auch in Form von exorbitanten Beraterhonoraren - auch wenn der eigentliche Berater des Spielers, Mino Raiola, vor wenigen Tagen an einer schweren Krankheit gestorben ist. Raiolas Erben, aber auch Erlings Vater Alf-Inge, einst selbst Profi bei Manchester City, sollen massiv am Transfer partizipieren. Englische Quellen berichten von insgesamt 30 bis 40 Millionen Euro, die für diesen Komplex angeblich zusammenkommen.

Zudem könnte die Steuer zum Zuge kommen, falls der BVB nach zwei verlustreichen Corona-Jahren im kommenden Geschäftsjahr wieder Gewinne erzielen könnte statt kapitale Verluste, die aber wiederum als Verlustvorträge dienen können. Und außerdem haben Spieler, wie ganz normale Wirtschaftsgüter, einen Bilanzwert und eine Restabschreibung. Soll heißen: Da der Gebraucht-Spieler Haaland abgegeben wird, muss sein Restwert aus der Bilanz genommen werden, was sich im Ergebnis abbildet.

Haaland ist ein Unikat, das nicht eins zu eins zu ersetzen ist

Das zweieinhalbjährige Zerren um Haaland hing vielen BVB- und allgemein vielen Fußball-Fans zum Halse heraus, weil es die unschöne, kapitalistische Seite des Fußballs ebenso zu betonen schien wie das Mitkassieren von Beratern und Finanzämtern. Brutto oder netto - ein alter Fußballer-Scherz - was war noch mal mehr? Im Gestrüpp von Börsenaufsichts-, Steuer- und Fußball-Verbandsbestimmungen geht im Moment noch etwas unter, was der Weggang des ikonischen Wunderstürmers eigentlich für den Fußball beim BVB bedeutet. Alles in allem hat der Norweger dem Klub eine spektakuläre Note gegeben. Er hat viele Tore geschossen, 85 in 88 Spielen und 23 Vorlagen obendrein, und beim Wiederverkauf einen guten Millionen-Gewinn abgeworfen. Jetzt geht es darum, sportlich die Lücken zu schließen.

Eins zu eins geht das nicht, weil Haaland in seiner brachialen Wucht, gepaart mit erstaunlich guten technischen Qualitäten trotz 1,94 Meter Körperlänge, international ein Unikat ist. Nicht wenige im Klub haben zugleich aber das Gefühl, dass die einseitige Spielweise - recht banale Bälle in Richtung des rasenden Tor-Terminators - auch Nachteile in sich barg. Eigentlich müsste Dortmund die meisten Gegner in engen Räumen ausspielen, weil fast jeder gegen den BVB sehr defensiv steht. Das klappte in den Spielen ohne Haaland nur selten.

Andere Mittel als das System Haaland hatte die Mannschaft oft nicht. Wenn der 21-Jährige in seinen zweieinhalb Jahren wegen Verletzungen fehlte (was insgesamt 18 Mal passierte, davon sieben Spiele am Stück im laufenden Saison-Halbjahr), schien die Truppe von Trainer Marco Rose ohne den vermeintlichen Alleinunterhalter oft schlecht vorbereitet zu sein. Im Schatten von Haaland wurden viele Defizite zudem viel zu wenig angegangen, etwa die massive Defensivschwäche und das Fehlen von Geschwindigkeit bei Haalands Kameraden.

Mit den aktuellen Zugängen arbeiten Sportchef Michael Zorc und der designierte Nachfolger Sebastian Kehl an einem Update des Kaders. Fußball spielen können da fast alle, Fußball mit Wucht und Physis und Willen durchpauken dagegen zu wenige. Die Innenverteidiger Nico Schlotterbeck und Niklas Süle sollen für enorme individuelle Geschwindigkeit sorgen, auch für mehr Physis, ebenso wie der junge deutsche Nationalstürmer Karim Adeyemi, dessen Zusage ebenfalls am Dienstag bekannt gegeben wurde. Seine Verpflichtung hing offenbar, was die Ablösesumme angeht, an dem Faden des Haaland-Transfers zum Scheich-Klub Manchester City. Außerdem rechnen sie beim BVB mit einem festen Platz für den A-Junioren-Stürmer Jamie Bynoe-Gittens, der noch schneller als sein fußballerischer Zwilling Adeyemi sein dürfte.

Trainer Marco Rose wird kritisch gesehen - kann er eine Idee ohne Haaland präsentieren?

Gesucht werden noch ein echter Mittelstürmer und ein echter Sechser, ein klassischer Abräumer vor der personell aufpolierten Innenverteidigung. Für die Neuner-Position scheint der erst 19-jährige Franzose Hugo Ekitike von Stade Reims einen leichten Vorteil zu haben. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke bezeichnet ihn als einen "spannenden Spieler", einen Transfer aber auch als "mutig". Ekitike bringt längst nicht die Meriten eines Haaland im damals gleichen Alter mit. Haaland hatte da für RB Salzburg schon in der Champions League geglänzt.

So oder so hätte Dortmund nach der zum Teil frustrierenden Saison den Kader umbauen müssen. Die Haaland-Millionen und zugleich auch die 86 Millionen Euro Kapital-Erhöhung, die die Kommanditgesellschaft auf Aktien durch die Ausgabe frischer Aktien im vergangenen Oktober einnehmen konnte, geben dem Klub trotz der Corona-Verluste etwas Bewegungsfreiheit. Manche in Dortmund scheinen aber zugleich auch wenig überzeugt zu sein von der bisherigen Leistung des Cheftrainers Marco Rose. Das Weiter-so-Kommando der Klubführung wirkt eher zähneknirschend, weil sich manche vom Trainer doch mehr spielerische Ideen und mehr Zugriff auf die Spieler wünschten.

Ob Rose ohne die Allzweckwaffe Haaland besser zum Zuge kommt, dürfte spielentscheidend werden. Roses potenzieller Ersatz, Ex-Interimstrainer Edin Terzic, sitzt als Technischer Leiter weiterhin auf der Haupttribüne.

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