Süddeutsche Zeitung

BVB:Das Dilemma des Dortmunder Luxuskaders

Lesezeit: 4 min

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

An die Euphorie von Auftaktspielen erinnert man sich am Ende einer Saison oft wehmütig und ungläubig: So viel Aufbruch am Anfang - und dann doch wieder in die alten Furchen gerutscht, vom Verletzungspech geplagt, abgeschmiert ins Mittelmaß ... Das 5:1 von Borussia Dortmund gegen den FC Augsburg allerdings war zu deutlich für skeptische Saisonprognosen. Julian Weigl, neuerdings im Mittelfeld des BVB wieder gefragt, traute sich, die Dortmunder Zuversicht fast schon aufreizend klar zu formulieren: "Natürlich haben wir wahrgenommen, dass die Bayern am Freitag nicht gewonnen haben. Um so mehr hat uns das angestachelt, gleich ein Signal nach München zu senden!"

Weigls Trainer Lucien Favre wird schlau genug sein, die ziemlich große Klappe des 23-Jährigen mit seinem typischen Augenrollen zu kommentieren. Denn trotz des beeindruckenden Startsieges, trotz der Zielvorgaben der Klubführung und trotz der Erwartungshaltung beim Anhang: Favre mag sich auch weiterhin nicht am Ankündigungs-Wettbewerb um den Meistertitel beteiligen. Er "nehme das an als Ziel", betonte Favre zwar auch nach dem starken 5:1 eher grummelig, aber seine Aufgabe sei es, immer nur das nächste Spiel zu betrachten - "auch wenn das etwas langweilig klingt". Dabei muss Favre ohnehin nicht befürchten, als unterhaltsam zu gelten.

Ein anderer wichtiger Protagonist beim Dortmunder Saisonstart wollte nach dem Sieg noch weniger sagen - so gut wie nichts: BVB-Rückkehrer Mats Hummels wimmelte nach seinem ersten schwarzgelben Heimspiel seit Mai 2016 (damals gegen Köln) alle Frageversuche ab: "in zwei, drei Wochen vielleicht", sagte er nur. Zuvor hatte er einige Minuten vor dem Abpfiff von Marco Reus die Kapitänsbinde übernommen - und nach dem Abpfiff auf der Osttribüne einem Fan sein Trikot überlassen, der ihn mit einem unermüdlich in die Stadion-Luft gereckten Plakat begrüßt hatte: "Willkommen zu Hause, Mats!"

Hummels tat gut daran, seine an sich gewohnte Rolle des eloquenten Mannschaftssprechers vorerst zu verweigern. Auf dem Rasen hatte der Verteidiger gegen die streckenweise überfordert wirkenden Augsburger 95,3 Prozent Pässe an den eigenen Mann gebracht, und dabei eine ganze Reihe seiner Spieleröffnungen gezeigt, die man nur von wenigen gelernten Innenverteidigern geboten bekommt. Dass er sich auch ein, zwei seiner in Dortmund als "Hummels-Bolzen" bekannten Fehler leistete, passte zu seinem Heimkommen: Manche Dinge ändern sich eben nie.

Intern hatte Trainer Favre den Nationalspieler außer Dienst bereits zu einer Art drittem Spielführer ernannt, hinter Marco Reus und Lukasz Piszczek. Als beide nicht mehr auf dem Feld waren, durfte Hummels die Armbinde übernehmen, die selbst im modernen Profifußball ein Symbol für einen besonderen Rang ist. Trotz vieler Versuche bei quasi jedem Dortmunder Eckball (Eckenverhältnis: 10:0), blieb Hummels der Bonbon-Geschmack eines Tores zur Rückkehr versagt. Und das Spiel hatte sogar nach 31 Sekunden mit dem ersten Gegentreffer der zweiten Hummels-Ära begonnen, als die halbe BVB-Elf, inklusive Hummels, dem simplen Augsburger 1:0 durch Sturm-Zugang Florian Niederlechner nur zuschaute. Dieser erste Torschuss blieb allerdings der einzige des FCA, der aufs Dortmunder Tor kam.

Stattdessen trafen für Dortmund danach die üblichen Verdächtigen: Zweimal Paco Alcacer, den Favre im dritten Saison-Pflichtspiel zum dritten Mal Mario Götze vorzog, je einmal Marco Reus und Jadon Sancho. Also jene drei Borussen, die auch in der Vorsaison die meisten Tore erzielt hatten. Das 5:1, sein Premieren-Tor, steuerte der spät eingewechselte Zugang Julian Brandt bei - direkt vor der Südtribüne. Der noch später eingewechselte Götze verpasste ein weiteres Tor bei einem vertrackten Schuss. Sein 200. Bundesliga-Spiel hätte sich Götze wohl etwas glamouröser vorgestellt als mit einem Kurzeinsatz.

Das eigentliche, ziemlich neue Dilemma des BVB kennen sie bei Bayern München schon länger. Gegen Augsburg, das seinen gerade erst verpflichteten Torwart Tomas Koubek durch passives Defensivverhalten ständig in die Bredouille brachte und dessen Fehler heraufbeschwor, konnte Dortmunds Ensemble in jeder Besetzung mit seiner fast spielerischen Ballsicherheit auftrumpfen. 72 Prozent Ballbesitz dokumentierten dies. Auf Lucien Favre kommt nun wohl erstmals in seiner Karriere das komplizierte Management eines brillant überbesetzten Kaders zu. Gegen Augsburg wechselte er Brandt, Götze und den Real-Madrid-Leihspieler Achraf Hakimi ein - drei Topspieler. Natürlich braucht Dortmund, wie jeder ähnlich hoch ambitionierte Klub, auch solche Kaliber auf der Bank. Und natürlich wird man spätestens im Herbst merken, dass alle zu ihren begehrten Spielanteilen kommen. Aber Favre und Lizenzspieler-Leiter Sebastian Kehl werden bald viel zu moderieren haben.

Für einen wie Götze, dessen fußballerische Klasse bei fast jedem Ballkontakt aufscheint, dürfte das Bankdrücken besonders schmerzhaft sein. Götze hat nur noch einen Vertrag für elf Monate; dass er kürzlich mit Werder Bremen in Verbindung gebracht wurde, dementierte man an der Weser eilig. Aber dem Weltmeister Götze muss es auch weh tun, dass man ihn nicht mehr mit den ganz großen Klubs von Manchester bis London in Verbindung bringt, sondern ihm Bremen zutraut. Die beiden BVB-Macher Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc wollen Götze unbedingt halten, wenn auch nicht um jeden Preis. Aber für Spieler wie ihn oder den ebenfalls nur noch bis Sommer 2020 gebundenen portugiesischen Europameister Raphael Guerreiro scheint es besonders schwierig zu sein, sich mit der neuen Klasse des BVB-Kaders zu arrangieren.

Julian Weigl scheint das gerade hinter sich gebracht zu haben. "Großartig, was für einen Schwung die Jungs bringen, die bei uns von der Bank kommen", betonte er. Weigl selbst war voriges Jahr kurz vor dem Absprung aus Dortmund, weil er kaum noch zu Einsätzen kam. Auch seine Euphorie könnte bald schon wieder Dämpfer bekommen, wenn Favre ihm einen echten, offensiveren, schnelleren "Achter" im Mittelfeld vorziehen sollte, etwa die relativ vielseitigen Brandt oder Götze oder den robusteren Dänen Thomas Delaney. Wer so viel Spannung in der eigenen Aufstellung hat, muss sich wohl tatsächlich nicht an Debatten um Meistertitel beteiligen.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2019
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