Süddeutsche Zeitung

VfL Bochum:Golfer mit Zauberfüßchen

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Milos Pantovic erzielt erneut ein Tor aus sehr großer Distanz und stärkt mit dem Siegtreffer gegen Freiburg die Hoffnungen auf den Bochumer Klassenverbleib. Der Klub entlockt selbst SC-Trainer Streich zarte Gefühle.

Von Ulrich Hartmann

Kurz vor Schluss stand der Bochumer Mittelfeldspieler Milos Pantovic allein vorm Freiburger Tor. Aus zehn Metern hätte er den Ball nur noch an Mark Flekken vorbeischieben müssen. Doch er scheiterte am Torwart. "Da war ich zu nah dran", witzelte Pantovic später. Der 25 Jahre alte Serbe benötigt offenkundig die langen Distanzen, um ins Tor zu treffen. Im vorigen Heimspiel gegen Hoffenheim hatte er in der 97. Minute den 2:0-Endstand aus 66 Metern erzielt. Gegen den SC Freiburg nun erzielte er in der 82. Minute den 2:1-Siegtreffer aus 45 Metern. Aber das Unglaublichste ist: Sein Tor aus 66 Metern schoss er mit links, das aus 45 Metern mit rechts. Pantovic wäre einer für "Wetten, dass..?".

"Man hat das im Gefühl", sagt der langjährige Jugendspieler des FC Bayern München sowohl über die weiten Torschüsse als auch über das Vorausahnen solcher Schussgelegenheiten. Als Beobachter wird man das Gefühl nicht los, dass der gebürtige Münchner auch ein toller Golfspieler geworden wäre mit einem famosen Abschlag. "Wir sind froh, dass wir mit Milos so ein Zauberfüßchen in der Mannschaft haben", sagte der VfL-Trainer Thomas Reis. "Er macht aber kein spezielles Fernschusstraining; wir trainieren Spielsituationen, die wichtiger sind."

Die wichtigen Spielsituationen hat am Samstag eigentlich der SC Freiburg für sich entschieden. Er hatte mehr und die besseren Torchancen. Doch er scheiterte am Torwart Manuel Riemann. Außerdem verweigerte der Schiedsrichter Patrick Ittrich den Schwarzwäldern einen Bochumer Platzverweis für Anthony Losilla (42.) und einen Elfmeter (62.), als Losilla einen Torschuss von Vinzenco Grifo mit der Hand abwehrte.

"Ohne Schiri ham wir keine Chance", hatten die Bochumer Fans zu Beginn gesungen und damit an Fehlentscheidungen bei der 0:1-Niederlage in Leverkusen erinnert. Diesmal jedoch hatte Bochum "Spielglück", wie es der Trainer Reis nannte. Freiburgs Coach Christian Streich sagte nach seinem 300. Spiel als Bundesligatrainer: "Von allen 300 Spielen war dies eines der ungerechtesten Ergebnisse."

Vor drei Wochen hatte Pantovic mit links aus 66 Metern links nahe der Außenlinie getroffen, weil Hoffenheims Torwart Oliver Baumann bei einer Ecke mit nach vorne gegangen war. Diesmal traf Pantovic mit rechts aus dem Mittelkreis, weil nach einem langen Bochumer Ball der Freiburger Torwart Flekken schon weit aus seinem Tor herausgekommen war, der Freiburger Abwehrspieler Philipp Lienhart ihm jedoch zuvorkam und den Ball im Ausrutschen so unglücklich zu Pantovic spielte, dass dieser mit rechts in hohem Bogen ins verwaiste Tor schießen konnte.

Einmal mehr avancierte ein Heimspiel des VfL Bochum zum Spektakel. Wegen Corona waren nur 19 700 Zuschauer im Stadion. Sie sahen den dritten Heimsieg in Serie und zugleich die dritte Freiburger Niederlage nacheinander. Lienhart hatte die Gäste mit 1:0 in Führung gebracht (51.), Sebastian Polter hatte für die Gastgeber drei Minuten später ausgeglichen (54.).

Die Bochumer Heimspiele sind in dieser Saison fast rasanter als das "Starlight Express"-Musical direkt nebenan, in dem die Belegschaft den ganzen Abend singend auf Rollschuhen unterwegs ist. Auch Freiburgs Trainer Streich, obwohl "konsterniert" durch die Niederlage, sang hinterher ein Loblied auf die Bochumer Mannschaft, den Klub und das Stadion. "Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht gegen sehr intensive Bochumer in diesem wunderbaren Stadion. Der VfL ist einfach ein toller Verein. Das ist für mich Fußball hier."

Der Betonbau mitten in der Stadt mit seinen Retro-Flutlichtmasten löst bei einem Fußballromantiker wie Streich Gefühle aus. Dazu passt, dass die Bochumer in jedem Heimspiel wahre Leidenschaft zeigen, passend zu einer Zeile aus Herbert Grönemeyers vor jedem Spiel zu hörenden Lied "Bochum": "Hier, wo das Herz noch zählt / nicht das große Geld."

Streich sagt: "16 Punkte zum jetzigen Zeitpunkt sind für den VfL Bochum herausragend. Wenn ich Fan vom VfL Bochum wäre, und der VfL würde den Klassenerhalt schaffen, dann würde ich sagen: Das ist großartig. Schauen Sie doch bloß mal, wer in den vergangenen Jahren alles abgestiegen ist: Hamburg, Schalke, Bremen, sogar Wolfsburg war zwei Mal in der Relegation."

Für Bochums Trainer Reis waren diese Worte in der Pressekonferenz wie eine Umarmung. "Die Mannschaft ist zusammengewachsen, und gemeinsam mit dem tollen Publikum ist uns ein glücklicher Sieg gelungen." Mit 16 Punkten hat der als Abstiegskandidat Nummer eins in die Saison gegangene VfL zwei Punkte weniger als Borussia Mönchengladbach und zwei mehr als Hertha BSC. Die Fans wissen nicht, wohin mit ihren Glücksgefühlen. Als Pantovic aus 45 Metern den Siegtreffer erzielte, sah die Osttribüne aus wie eine brodelnde Lasagne. "Unsere Fans?", sagt Pantovic: "Brutal!"

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