Süddeutsche Zeitung

Bundestrainer:Der Neubeginn des Joachim Löw

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Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Nicht selten bringen Präsidenten großer Fußballvereine teure Geschenke mit, wenn sie sich auf der Jahreshauptversammlung den Mitgliedern zur Wiederwahl stellen. Die Präsentation eines brandneuen Mittelstürmers der Luxusklasse oder eines scheckheftgepflegten Nationalspielers aus dem Bestand des Erzrivalen soll das Publikum in die passende Stimmung versetzen. In Kreisen geübter Präsidenten gilt es zudem als hilfreich, den Transfercoup durch gezielte Indiskretionen gegenüber ausgewählten Medien vorzubereiten. Dies sichert schon vor dem Wahltag das Wohlwollen der Mitglieder.

Am kommenden Wochenende findet in Erfurt der DFB-Bundestag statt, dann werden die Delegierten den seit April amtierenden Präsidenten Reinhard Grindel für weitere drei Jahre im Amt bestätigen. Einen Gegenspieler gibt es nicht, der Kandidat darf mit einer Zustimmung rechnen, die wenigstens hundert Prozent betragen wird. Auch Grindel möchte aber gern mit einer guten Nachricht ein bisschen Stimmung im Saal schaffen, und weil er nicht mit dem Kauf prominenter Spieler zu punkten vermag, hilft ihm der Bundestrainer aus der Bedürftigkeit.

Darüber, dass Joachim Löw seinen Vertrag mit dem DFB um zwei Jahre bis 2020 verlängern wird, hat am Wochenende bereits die Bild berichten dürfen. An diesem Montag haben dann auch der Deutsche Fußball-Bund und Joachim Löw selbst die Nachricht offiziell bekanntgemacht.

Grindel adelt Löw

"Wenn Kopf und Herz gemeinsam Ja sagen, dann gibt es nicht viel zu überlegen", sagte Löw: "Ich habe die gleiche Motivation wie zu Beginn beim DFB." Er habe sich nach der EM in Frankreich zurückgezogen und über seine Motivation, seine Begeisterung und seine Visionen nachgedacht. "Ich habe gespürt, da gibt es Dinge, die wir angehen wollen." Grindel hob die "vertrauensvolle und erfolgreiche Zusammenarbeit" hervor. "Joachim Löw ist der beste Trainer, den wir uns im DFB-Präsidium für die Nationalmannschaft vorstellen können", sagte der Verbandschef.

Es wäre allerdings nicht korrekt, die Unterschrift als reines Wahlmanöver darzustellen. Reinhard Grindel, 54, hatte bereits während der Europameisterschaft im Sommer immer wieder öffentlich dafür geworben, die Verbindung des DFB mit dem 56 Jahre alten Chefcoach fortzuschreiben. Löw sah jedoch keinen Grund, jenseits höflicher Erwiderungen auf die Avancen einzugehen. Erstens weil er mit dem Turnier hinreichend beschäftigt war, zweitens weil ihm sein bis zur WM 2018 laufender Vertrag vollauf genügte.

An Letzterem hat sich im Prinzip nichts geändert. Löw wäre auch ohne verlängerten Kontrakt unbesorgt auf das nächste Turnier zugegangen. Seine Zusage darf als Geschenk an den Präsidenten interpretiert werden, er braucht diesen neuen Pakt nicht - aber er weiß auch, dass er ihm nicht schadet. Darüber hinaus erledigt sich damit ein Thema, das anfing, ein wenig lästig zu werden. Entsprechende Fragen der Reporter erübrigen sich jetzt.

Ob Löw tatsächlich bis zur EM 2020 amtieren wird, das wird sich erst bei der WM in Russland erweisen beziehungsweise auf dem Weg dorthin. Ein Misslingen der Qualifikation oder ein schmähliches Scheitern im Turnier würde vermutlich beide Seiten dazu veranlassen, das Bündnis vorzeitig aufzukündigen. Aber mit krassen Misserfolgen rechnet derzeit keiner, und man muss schon ein überzeugter Skeptiker sein, um aus der laufenden Qualifikationsrunde negative Omen zu lesen.

Die Nationalspieler geben keine Zeichen zu erkennen, dass sie ihres Trainers überdrüssig wären. Löw arbeitet seit zwölf Jahren in der Teamleitung, seit zehn Jahren als Chefcoach, aber inzwischen sieht es wieder so aus, als hätte er trotz aller Routine und trotz der unvermeidlich wiederkehrenden Momente von Monotonie den Ehrgeiz und die Neugier noch nicht verloren. Das Ergebnis der EM, das vermeidbare Aus im Halbfinalspiel gegen Frankreich, scheint sein Interesse neuerlich belebt zu haben. Dieser relative Misserfolg, so sagen die Begleiter, habe ihn dazu bewegt, seine Methoden zu überdenken. Nach dem Titelgewinn von Brasilien war Löw der Schwung abhanden gekommen, das hat er selbst eingesehen.

Sogar von einer Art "Neubeginn" ist jetzt die Rede, wozu auch die Rücktritte von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski beigetragen haben. Dass Löw, auch aus Gründen von Loyalität, Anhänglichkeit und menschlicher Nähe, bei dem Turnier an den beiden Weggefährten festhielt, war nicht nur in der Öffentlichkeit umstritten, sondern auch in der Mannschaft ein kritisches Thema. Diese ist bei näherer Betrachtung nicht ganz so homogen zusammengesetzt, wie sie nach außen präsentiert wird. Der neue Kapitän Manuel Neuer, 30, ein ausgesprochener Löw-Anhänger, bringt auf seine konstruktive Art wieder mehr Gleichgewicht in das nicht immer unkomplizierte Gefüge. Vielleicht werden ja die beiden 2020 gemeinsam ihren Abschied beim DFB einreichen. Wenn nicht ein paar Vertragsverlängerungen dazwischen kommen.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2016
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