Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Stuttgart steigt ab? "Das kann kein Zufall sein."

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Das 1:3 beim VfL Wolfsburg ist für den VfB der Tiefpunkt nach neun Jahren voller Missverständnisse und Umbrüche. Wer soll nun die Zukunft gestalten?

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Am Ende trauten sie sich doch noch in die Kurve der Wolfsburger Arena, in der rund 4500 Fans des VfB Stuttgart standen. Und was sich daraufhin bot, wirkte surreal.

Hier eine Mannschaft, die eher ausgelaugt wirkte als wirklich am Boden zerstört, obwohl sie es wahrscheinlich war, und die nicht wirklich hinwollte zu jenen, die mal gekommen waren, sie zu unterstützen: 90 Minuten zuvor. Und dort ebendiese Menge, die ebendieses Team nicht mehr sehen wollte: Sie schickte die Mannschaft weg, mit Gesten, mit feindlichen Gesten, mit dem Ausdruck tiefer Enttäuschung in den Gesichtern.

Fußball funktioniert auch über die Identifikation. Und in Zeiten grenzenloser Professionalisierung neigen jene, die hinter dem Zaun stehen, die Fans also, dazu, sich als die wahren Hüter der Essenz ihres Vereins zu sehen. "Wir sind Stuttgart, und ihr nicht!" riefen sie und ballten die Fäuste. All das geschah, als die Partie in Wolfsburg vorüber war und Jürgen Kramny auf der Trainerbank die Tränen in die Augen schossen. 1:3 hatte der VfB beim VfL Wolfsburg verloren - womit der erste Stuttgarter Abstieg seit 1975 besiegelt war.

"Wie beim Freundschaftsspiel!", sagt Guido Buchwald

"Es ist der bitterste Tag in meinem Leben", sagte später, äußerlich ruhig, Robin Dutt, der Manager, den so viele für den ultimativen Niedergang verantwortlich machen. "Ich trage dafür die Verantwortung", sagte Präsident Bernd Wahler: "Dies ist in der Geschichte unseres Vereins ein ganz, ganz schwarzer Tag." Am Tag danach, nach der Rückkehr nach Stuttgart, vollzog sich das offenbar Unvermeidliche: Die Trennung von Kramny, der Rücktritt von Wahler.

Wie es dazu kam, ist schnell erzählt. Zumindest für diese eine Partie in Wolfsburg, in der es ja um so etwas die Existenz ging. Denn es war nicht einmal eine halbe Stunde gespielt, als sich die Stuttgarter vollends der Melancholie ergeben hatten. Sie schienen jeden Versuch, das Schicksal zu beugen, als so unnütz zu interpretieren, dass sie ihn gar nicht mehr in Angriff nahmen. Nach nur elf Minuten hatte Wolfsburgs Mittelfeldspieler Maximilian Arnold nach einer Flanke von Marcel Schäfer aus Mittelstürmerposition getroffen; nach 29 Minuten traf Nationalspieler André Schürrle nach einem Konter, den Daniel Caliguri mit einem 50-Meter-Sololauf eingeleitet hatte.

In beiden Fällen spottete die Stuttgarter Defensive jeder Beschreibung. Gegenwehr? Nicht vorhanden. Unter den Fans machte sich ohnmächtige Stille breit. Niemand bäumte sich auf. Nicht auf dem Platz, nicht daneben. Auch daher geriet die Partie in der Folge zu einem emotionslosen Kick, "wie beim Freundschaftsspiel", spottete später Guido Buchwald, ehemaliger VfB-Recke und Weltmeister von 1990, der als Zaungast nach Wolfsburg gereist und dann nur noch fassungslos war. In der Tat: Dass das Engagement der Wolfsburger ins Auge sprang und jenes der Stuttgarter nicht, sprach gegen den Stolz einer blutarmen Stuttgarter Equipe.

Das VfB-Tor erzielt ausgerechnet Didavi - der künftige Wolfsburger

Ja, sie kamen noch zu einem Anschlusstreffer, durch einen fein verwandelten direkten Freistoß des künftigen Wolfsburgers Daniel Didavi (78.). Dass André Schürrle in der Nachspielzeit nach einem Konter zu seinem zweiten Treffer kam, nachdem Bas Dost, Vieirinha und Julian Draxler gute Chancen vergeben hatten, dass die Niederlage also noch heftiger hätte ausfallen können - wen scherte das schon? 75 Gegentore hat der VfB in dieser Saison hinnehmen müssen, mehr als jede andere Mannschaft.

"Wir sind nicht heute abgestiegen", sagte Martin Harnik, der sich als einer der wenigen Stuttgarter Spieler äußerte. Man sei drei Jahre lang dem sportlichen Tod von der Schippe gesprungen, "jetzt ist das Fass halt übergelaufen, das kann kein Zufall sein".

Weit energischer als das Stuttgarter Team trat in der zweiten Halbzeit ihr Anhang auf. Zwar verharrten die Fans auch nach der Pause lange im selbstauferlegten Silentium. Dafür aber hängten sie gigantische Protestplakate auf: "Keine Ahnung, keine Planung, kein Konzept! Vorstand raus!", stand auf einem zu lesen. Auf einem anderen: "Keine sportliche Kompetenz, keine Perspektive, keine Aufarbeitung, keine Antworten". Am Ende hing noch ein drittes Plakat in den Rängen: "Versager raus - alle!"

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Quelle:
SZ vom 15.05.2016
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