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Bundesliga-Start:Mehr als nur scheinbare Konkurrenz

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Die überragende Mehrheit der Bundesligaklubs verweist vor der neuen Saison resignierend auf den FC Bayern als kommenden Meister. Doch ein vorsichtiges Hoffen auf Abwechslung ist womöglich nicht verwegen.

Kommentar von Philipp Selldorf

Die Nullerjahre waren nicht nur das Jahrzehnt, das bodenlange Jeansmäntel mit Fellbesatz und den rosafarbenen Jogginganzug für den Gala-Abend hervorgebracht hat, sondern auch zwei deutsche Fußballmeister, die mindestens genauso schrill in der Landschaft standen. Mit dem VfB Stuttgart 2007 und Felix Magaths VfL Wolfsburg 2009 hatte kein Mensch gerechnet. Ein dritter Ausnahmefall nahm im letzten Moment Abstand vom Siegerpokal, denn im Wendejahr 2000 fiel außer dem vielfach geweissagten Weltuntergang auch die scheinbar unvermeidliche erste deutsche Meisterschaft für Bayer Leverkusen aus. Das jammervolle Scheitern am letzten Spieltag in Unterhaching gab den Rheinländern allen Grund, das Ende der Welt herbeizuwünschen. Doch die Erde dreht sich immer noch, und Rudi Völler geht nun in sein circa 25. Dienstjahr als Bayer-Funktionär und -Galionsfigur. Sein letztes allerdings, im nächsten Sommer zieht er sich zurück.

Ein just zum Abschied jubelnder Rudi Völler auf dem Leverkusener Rathausbalkon wäre zweifellos ein unvergessliches Bild, aber dieses Bild wird es wohl nicht geben, was nicht nur daran liegt, dass Leverkusens Rathaus keinen Balkon hat. Nicht mal Völler selbst hat Bayer 04 genannt, als die Nachrichtenagentur dpa jetzt die 18 Bundesligavereine nach dem nächsten deutschen Meister befragte. Die überragende Mehrheit verwies vorwiegend resigniert auf den FC Bayern, lediglich der Kölner Trainer Steffen Baumgart erhob sich zum Exzentriker, indem er Borussia Dortmund zum Gewinner bestimmte. Wobei es sich weniger um einen ernsten Tipp handelte als um Wunschdenken: "Es wäre schön, wenn mal wieder jemand anderes Meister würde", sagte er.

Vielleicht haben die Münchner diesmal mehr als nur scheinbare Konkurrenz

Wie ein höhnischer Witz klingt es, wenn der neue Bayern-Boss Oliver Kahn behauptet, die Münchner Spieler könnten etwas "Historisches" und "Einmaliges" erreichen, wenn sie mit einem weiteren Triumph den zehnten Titel hintereinander erbeuteten. Andererseits enthält diese Betrachtung zwei Komponenten, die dazu animieren, ein verrücktes Jahr für möglich zu halten. Erstens hat das bayerische Reich tatsächlich einen neuen Regenten, zweitens gibt es eine Münchner Mannschaft, die bis auf den Abwehrmann Upamecano (und abzüglich Alaba und Boateng) unverändert geblieben ist. Bisher beruhte die Bayern-Macht auf der umgekehrten Erfolgsformel: bewährte Führung, und ein durch Impulstransfers erfrischtes Team.

Vielleicht haben die Münchner zudem diesmal mehr als nur scheinbare Konkurrenz. Auch Borussia Dortmund verzeichnete zwar im Sommer nicht viel Bewegung im Kader, der Engländer Sancho ging, der Niederländer Malen kam, aber das Aufgebot animiert die Fantasie, allein deshalb, weil diese nordische Sagengestalt aus ihm hervorragt - niemand ahnt ja, welches von Erling Haalands gewaltigen Talenten noch gar nicht zu Ende entwickelt ist. Bei RB Leipzig, dem anderen denkbaren Titelbewerber, gibt es zumindest zwei Gewissheiten: Der Mittelstürmer, den sie vorige Saison vermisst hatten, ist jetzt doppelt zur Stelle (Silva, Szoboszlai). Dafür wurde die stabile Abwehrreihe doppelt entkernt (Upamecano, Konaté).

Da außerdem jedes der drei Spitzenteams einen neuen Trainer hat, ist vorsichtiges Hoffen auf Abwechslung womöglich nicht verwegen. Gefeiert wird am Ende auf jeden Fall: Rudi Völlers Abschied.

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