Süddeutsche Zeitung

Fußball:Bundesliga in der Warteschleife

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Selldorf, Frankfurt/Köln

Wann und wie der Fußballbetrieb wieder aufgenommen werden kann, darüber konnten die 36 Mitglieder der Deutschen Fußball Liga am Dienstag keinen bindenden Beschluss fassen. Ganz Deutschland und somit auch der Profifußball befänden sich "in einer erzwungenen Warteschleife", sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert im Anschluss an die virtuelle Vollversammlung.

Dennoch sehen die beiden Bundesligen seit Dienstag ein bisschen klarer in die nahe Zukunft. Erwartungsgemäß beschlossen sie gemäß Empfehlung des DFL-Präsidiums, den Wettbewerb bis 30. April auszusetzen. Darüber hinaus formulierten die Vereine aber konkrete Pläne und Überlegungen, um die Saison, wie von allen gewünscht, bis 30. Juni zu Ende zu bringen - notfalls auch erst später. Grundlage ist dabei, dass die Spiele ohne Zuschauer stattfinden müssten. Laut Seifert könnte diese Auflage bis weit in die nächste Saison hinein gelten; womöglich wird erst im Jahr 2021 wieder Stadionpublikum zugelassen. Damit der Profifußball so bald wie möglich wieder handlungsfähig werden kann, richtet die Liga eine medizinisch-sportlichen Kommission ein, an der sich alle Vereine durch ihr Fachpersonal beteiligen. Diese Taskforce solle einen "verbindlichen medizinischen Leitfaden schaffen" (Seifert) und die Voraussetzungen für eine möglichst schnelle Rückkehr der Teams auf den Fußballplatz herstellen. Seifert sagte, man sei deshalb auch in ständiger Verbindung mit den politischen Instanzen.

Dabei gehe es nicht um eine Sonderbehandlung des Fußballs: "Wir wollen keine Extrawürste, das ziemt sich nicht in diesen Zeiten", betonte Seifert. Er ließ aber auch subtil anklingen, dass Fußball in ebendiesen Zeiten ein Beruhigungsmittel für das Volk sein könnte. Rund 20 Millionen Deutsche, ein Viertel der Bevölkerung, verfolgen gewöhnlich jedes Wochenende die Bundesliga, hob Seifert hervor: "Wenn diese Menschen nun bald mal was anderes hätten, worüber sie reden, sich freuen oder ärgern könnten, dann wäre das vielleicht hilfreich - und diese Facette ist auch vielen politischen Ansprechpartnern klar."

Bei einem Komplettabbruch der Saison, dem Worst-Case-Szenario mit ausbleibenden TV- und Sponsoreneinnahmen, könnten einige Vereine laut Seifert schon im Mai oder Juni "in eine existenzbedrohende Situation geraten". Die Liga-Gemeinschaft hat beschlossen, auch formell Klubs zu stützen, die an den Rand des Konkurses zu geraten drohen: Die üblicherweise fälligen Strafen für Vereine, die während einer Saison Insolvenz anmelden, werden für die laufende ausgesetzt. Eigentlich sehen die Statuten einen Abzug von neun Punkten vor, wenn ein Verein sich für zahlungsunfähig erklärt. Dass davon abgewichen wird, zeugt vom Ernst der Lage - und von der Entschlossenheit, die Situation zu meistern, indem man sich von vermeintlich ehernen Prinzipien verabschiedet. Sogar an der 50+1-Regel zu rütteln, um Investoren freien Zutritt in Klubs zu gestatten, wäre für Seifert persönlich allerdings dem Vernehmen nach kein richtiger Ansatz. Eine Insolvenz wäre auch in der nächsten Saison nur bedingt strafbar, dann würden lediglich drei Punkte abgezogen. Auch das Lizenzierungsverfahren, ein Merkmal der wirtschaftlichen Solidität des deutschen Fußballs, soll vorerst stillgelegt werden. Auf die Überprüfung der Liquiditätssituation werde diesmal "verzichtet", teilte die DFL mit. Allerdings soll die Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der nächsten Saison von Ende Oktober auf Mitte September vorgezogen werden, um möglichst frühzeitig ein realistisches Bild der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Klubs zu erhalten.

Seifert lobte das Gesprächsklima während der Bildschirm-Sondersitzung. Er habe den Eindruck, dass die Vereine sich nie so nahegestanden hätten wie in dieser Zeit. Ausdrücklich bezog er hier die Profis und die aktive Fanszene ein: Es habe ihn "gefreut und berührt, wie viele Spieler ihre Popularität sehr, sehr sinnvoll eingesetzt" hätten, betonte er. Gleichwohl bleibe die DFL ein Kollektiv, das "aus 36 Konkurrenten" bestehe. Man konnte das als Botschaft verstehen: Gegensätze, Meinungsverschiedenheiten und Verteilungsdebatten seien vorerst vertagt, man brauche aber nicht zu glauben, dass solch ein kontrastreiches Miteinander nicht bald zurückkehre.

Kein explizit diskutiertes Thema waren Modelle, in welcher Form die Motorik des Fußballs in Gang gesetzt werden kann. Dass sportliches und technisches Personal an einigen wenigen Orten zusammengeführt und "kaserniert" werden könnte, um im Schicht- und Akkordverfahren die Spielpläne abzuarbeiten, das ist eine Idee, die in Aussagen führender Vereinsvertreter immer wieder anklingt. Seifert wollte sich darauf nicht einlassen, dies seien "Extremszenarien: Jeden Tag ein Spiel - darüber haben wir noch nicht nachgedacht". Es werde dauern, bis das "extrem ausdifferenzierte Gefüge" des Profifußballs zurück ins Lot kommt: "Die nächste geregelte Saison, wie wir sie bisher kannten, wird es erst wieder 2021/22 geben", sagte Seifert. Das liegt auch daran, dass sich die Ligen und die Uefa gegenseitig "aus der Patsche helfen" müssten.

Die Uefa habe gerade die "extrem anspruchsvolle Aufgabe", ausstehende Europacupspiele über Ländergrenzen hinweg zu organisieren. Dafür bedürfe es des Entgegenkommens der nationalen Ligen und terminlicher Flexibilität. Durchaus denkbar ist, dass demnächst am selben Tag Spiele in Bundesliga und Champions League stattfinden. Voraussetzung wäre, dass überhaupt Spiele stattfinden.

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SZ vom 01.04.2020
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