Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Ball und Bratwurst statt Helene

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Vor einem Jahr forcierten die Halbzeitshows von Anastacia und Helene Fischer im Saisonfinale eine fußball-kulturelle Debatte. Sie wirkt bis heute und zeigt, dass Fans mitunter die Falschen kritisieren.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Vor ziemlich genau einem Jahr gab es jene Wallungen, die als Goldkehlchen-Skandal in Erinnerung blieben. Ein Doppel-Wochenende, das zum Kulturkampf ausartete. Wobei mit dem Goldcharakter nichts über die stimmlichen Qualitäten der Kehlen gesagt sein soll. Die beiden Goldkehlchen waren nur am falschen Ort. Ungefähr so, wie es zu beobachten ist, wenn ein Vogel durchs offene Scheunentor (in Berlin: Marathontor) einfliegt. Und wie dann alle, die den ungebetenen Partygast aus ihrer Scheune (in Berlin: Olympiastadion) vertreiben wollen, mehr und mehr in einen Unruhezustand geraten. Während das Goldkehlchen ein munteres "One day in your life!" in die atemlose Runde trällert.

"Atemlos durch die Nacht" ist der Welthit von Helene Fischer; "One day in your life" ein Welthit von Anastacia. Schmetter-Gesänge, die jede Ballermann-Kehle auswendig kennt. Vor einem Jahr fanden sich beide plötzlich im Zentrum einer Fan-Debatte wieder, weil Anastacia die Halbzeitpause zur Meisterfeier des FC Bayern verlängerte, und dann eine Woche drauf Helene Fischer in Berlin mit ihrem Halbzeit-Intermezzo für den wahren und bundesweiten Aufreger des Pokalfinales Dortmund - Frankfurt (2:1) sorgte. Wobei die Kausalität sich schon darin zuspitzte, dass die tapfere Helene in Berlin darunter litt, was eine Woche zuvor mit Anastacia in München passiert war.

Denn dort hatte plötzlich das böse Wort von der "Wettbewerbsverzerrung" die Runde gemacht. Gerade deshalb soll in diesem Jahr im Saisonfinale niemand den Spielbetrieb stören, die Halbzeitshows fallen aus, gesungen wird offiziell nicht mehr, auch wenn in Anastacia und Helene damals sicher die Falschen als nützliche Feindinnen vereinnahmt wurden.

Kurze Rückschau: Freiburg hatte noch die Chance, sich in München für die Europa League zu qualifizieren, und weil wegweisende Entscheidungen auch an diesem Bundesliga-Samstag wieder zu erwarten sind (steigt der HSV ab?), werden alle Duelle des letzten Spieltags traditionell zeitgleich um 15.30 Uhr angepfiffen. Da aber vor einem Jahr Anastacias Mini-Bühne vom als Meister feststehenden FC Bayern erst mit zehn Minuten Verspätung vom Rasen geräumt wurde, entdeckte man dort den zu Recht in Rage geratenen Christian Streich: "Was halt echt genervt hat", fluchte Freiburgs Trainer, "war nach der Halbzeit, dass du nicht anfangen kannst zu kicken." Als Kronzeuge diente ihm sogar ein Münchner: "Der Arjen Robben ist zu mir gekommen und hat gesagt: Das geht nicht! Das sagt ja alles."

Freiburg qualifizierte sich zwar trotz dieser Verzögerung für Europa, aber mit jenem Münchner Präludium stieg Helene Fischer in Berlin ein. Dort, heißt es, sollen sich die Tonkünstler vom Fernsehen an den Reglern sehr angestrengt haben, um die Pfiffe gegen Fischers Programm heraus zu filtern. Exemplarisch, so schien es, wurde die blonde Bardin für alles in Haftung genommen, was die Fanseele bis heute aufwühlt: vom Kommerz bis zur ominösen 50plus1-Regel, vom Pyro-Verbot bis zur Kollektivstrafe für Fankurven, vom Montagsspiel bis zum Videobeweis, den es hierzulande noch gar nicht gab.

Ein Jahr später heißt es nun, dass sich das Verhältnis zwischen Fans und Verbänden gebessert habe. Ein Dialog sei in Gang gekommen, dessen Härtetest aber erst bevor steht: Pfingstsamstag, FC Bayern gegen Frankfurt, und in der Halbzeit des Pokalfinales, so hat es der Deutsche Fußball-Bund verfügt, soll es still bleiben. Der Fan soll sich auf Ball und Bratwurst konzentrieren können. Falls aber hinein in diese andächtige Stille wieder einmal jener Wechselgesang zwischen den Kurven angestimmt wird gegen die grimmigen Mächte des deutschen Fußballs ("Scheiß DFB!" - "Scheiß DFL!"), so ist da niemand mehr. Keine Goldkehle, mit der sich das alles übertönen ließe.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2018
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