Süddeutsche Zeitung

Abstiegskampf:Tradition bald nur noch in Liga zwei

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Sollten Köln und Schalke 04 absteigen, könnte die zweite Liga zum Treffpunkt der Traditionsklubs und Ballungszentren werden - die erste Liga dürfte den Vermarktern dagegen ein paar Sorgen bereiten.

Kommentar von Philipp Selldorf, Köln

Heribert Bruchhagen hat sich vor drei Jahren aus seiner Funktionärskarriere in den Ruhestand verabschiedet, hinterlassen hat er der Bundesliga das sogenannte Bruchhagen-Theorem. Dieses sagt dem deutschen Profifußball eine Entwicklung bevor, die strikt von der ökonomischen Logik diktiert wird. Die Beförderung seiner Theorie zum Lehrsatz würdigt den umfassenden Charakter der Anschauung.

Über das Prinzip "Geld schießt Tore" hinaus berücksichtigt sie die sozialen und kulturellen Faktoren, die den Wettbewerb mindestens mitbestimmen. Aus seiner praktischen Erfahrung mit Vereinen wie Schalke 04, Eintracht Frankfurt und Hamburger SV erkannte Bruchhagen, dass besonders die publikumsstarken Traditionsmarken im Verdrängungskampf mit solide geführten Nischenklubs, den wirtschaftlich bessergestellten Vereinen wie Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim oder Leipzig sowie den Umsatzgiganten Bayern und Dortmund unter existenziellen Stress geraten würden.

Im Chaos der emotionalen Einwirkungen ging die planende Vernunft verloren

Ein emotionales Umfeld verschönert im günstigen Fall die herzerfüllten Momente, erschwert aber auch rationales Arbeiten und erzeugt bereits bei drohendem Misserfolg Managementfehler und Führungsprobleme. Der HSV und Schalke belegen es beispielhaft. Trotz ausreichender finanzieller Ausstattung ging im Chaos der emotionalen Einwirkungen (und traditionsklubtypischen Eitelkeiten) die planende Vernunft verloren.

Wenn Bruchhagen nach dem just vergangenen 28. Spieltag die Tabellen der beiden obersten Ligen betrachtet, darf er sich in Gedanken bereits den Hut des Ehrendoktors aufsetzen. Seine Theorie nimmt Gestalt an. Die zweite Liga könnte zum Treffpunkt der Traditionsklubs und Ballungszentren werden. Der 1. FC Köln, Schalke 04, der HSV, der 1. FC Nürnberg, Hannover 96, der Karlsruher SC, Fortuna Düsseldorf, Dynamo Dresden - die mögliche Besetzungsliste erinnert an einen dieser Kinofilme, der zwar keine Prädikatsklasse bietet, dafür aber jede Menge Altstars.

Das mutmaßliche Teilnehmerfeld der ersten Liga dürfte dagegen den Vermarktern in der DFL ein paar Sorgen bereiten. Industrie-, Nischen- und Provinzklubs bilden in der nächsten Spielzeit möglicherweise die Mehrheit im Haus der Oberklasse. Das ist zweifellos nicht im Sinne derer, die das Premiumprodukt Bundesliga zu verkaufen haben - sagt aber auch nichts Herabwürdigendes über die Leistungen aus, die in Freiburg, Mainz, Bielefeld oder Augsburg erbracht werden.

Gut, so weit ist es noch nicht. Dem HSV kommt gerade das Pech der Konkurrenz zugute - etwa der coronabedingte Terminstress in Kiel -, womöglich schafft er also doch den Aufstieg, und der 1. FC Köln ist noch längst nicht abgestiegen. Als Traditionsklub hat er jetzt konsequent gehandelt und für die Schlussphase der Saison den Traditionstrainer Friedhelm Funkel verpflichtet. Womöglich bestätigt er aber genau damit das Bruchhagen-Theorem.

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