Süddeutsche Zeitung

Bundesliga, 23. Spieltag:Duell mit dem Götzenglauben

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Das schwere Spiel in Bremen - ohne den gesperrten Abwehrchef Sami Hyypiä - gilt als Reifetest für Tabellenführer Leverkusen. Bleibt Bayer weiter Europas einzige ungeschlagene Spitzenmannschaft?

Philipp Selldorf

Das ganze Land erwartet, dass am Sonntag in Bremen das Unvermeidliche eintritt: Dass Bayer 04 Leverkusen im 23. Punktspiel der Saison die erste Niederlage widerfährt, folgerichtig die Tabellenführung an den FC Bayern abgeben muss und somit am Sonntag um 19.15 Uhr die vorgeschriebene Ordnung im ewigen Kosmos der Dinge wiederhergestellt ist. Viele Millionen Menschen halten diese Ordnung zwar für grausam, aber um so fester glauben sie daran.

Nach den herrschenden Vorhersagen bräuchten sich die Leverkusener nicht mal mehr der Mühe der Anreise zu unterziehen, und die Betroffenen wissen das auch, wie Jupp Heynckes zugibt. "Wir kriegen das mit", bemerkt er, ein amüsiertes Lächeln begleitet seine Worte. Er scheint sich tatsächlich darüber zu belustigen, dass ganz Deutschland dem Götzenglauben von der Allmacht des FC Bayern erlegen ist. "Wenn vor der Saison nach dem nächsten Meister gefragt wird, dann tippen 17 von 18 Trainern und 80Prozent der Bevölkerung auf die Bayern", stellt Heynckes, 64, fest und fügt fröhlich hinzu: "Aber man kann sich auch irren."

Mythos FC Bayern

Dass am Ende wieder Bayern München deutscher Meister wird, daran bestehen sogar in der Führungsetage von Bayer wenig Zweifel, auch wenn's wehtut und man lieber zuversichtlich wäre. Die demütige Überzeugung beruht nicht auf mangelndem Vertrauen in die eigenen Leute, sondern auf dem Mythos des Gegners sowie, ganz profan, auf dessen Mannschaftskader. "Man muss das der Tradition des FC Bayern zuschreiben", sagt Jupp Heynckes, er ist weder beleidigt noch unruhig deswegen. "Wie es draußen kolportiert, was geredet wird, das stört uns eigentlich nicht", meint der Leverkusener Trainer und klingt dabei kein bisschen angestrengt.

Es gibt ihn noch, den Widerstand gegen das oberste Naturgesetz des deutschen Fußballs. Er wird nicht allein von Heynckes diktiert, der niemals in seinem Trainerdasein mehr Gelassenheit und Lebensfreude ausgestrahlt hat als in dieser späten Schaffensperiode in Leverkusen und dem der psychologische Wettkampf zwischen Favorit und Herausforderer ungeheures Vergnügen bereitet. Auch seine Spieler wehren sich dagegen, dass man ihnen ständig die Unwiderstehlichkeit des roten Imperiums einredet. Torwart René Adler empfindet die Ansicht des Publikums als "verzerrtes Bild". Er ist ein wenig ärgerlich darüber, man kann es auch als Trotz bezeichnen.

Vernunft statt Übermut

"Wir haben eine überragende Saison gespielt, aber alle reden vom FC Bayern und wie stark sie jetzt kommen. Das ist schade. Wir bringen Woche für Woche unsere Leistung, und ich denke, das sollte auch honoriert werden", sagt der Nationaltorhüter. Für die Partie beim SV Werder ruft er mit erregter Entschlossenheit das Ziel der Champions aus: "Wir sind Spitzenreiter. Wir fahren dorthin, um drei Punkte zu holen. Bremen hat eine starke Mannschaft, aber die Bayern haben gezeigt, dass man da gewinnen kann." Er hätte auch sagen können: Was die können, das können wir auch. Aber dafür ist er zu vernünftig.

Allerdings haben die Bayern diesen unsichtbaren Helfer, die sogenannte öffentliche Meinung mit ihrer tückischen Wirkungskraft. Ungerechterweise würde den Leverkusenern auch ein respektables Remis als Niederlage und als Ergebnis von Nervenflattern angekreidet werden. Mit der klubhistorisch verankerten Vokabel Nervenflattern hantierten berufene Kräfte bereits, als Bayer in Bochum eine 1:0-Führung verspielte (1:1) und gegen Wolfsburg (2:1) nach einer halben Stunde noch kein Tor erzielt hatte.

Dabei ist Bayer Leverkusen inzwischen die einzig unbesiegte Mannschaft in einer europäischen Spitzenliga, die Rückrundenbilanz ist nicht perfekt, aber befriedigend, findet der Trainer: "Dass es hin und wieder Fehlverhalten gibt, das ist doch normal für jede Mannschaft, damit gehen meine Spieler ganz natürlich und professionell um", erklärt er, muss dann aber gleich die nächste unheilvolle Legende parieren. In Bremen tritt Bayer ja ohne den gelbgesperrten Abwehrchef Sami Hyypiä an, und Gerüchten zufolge hat Bayer ohne Hyypiä immer verloren: Beim 1:2 im DFB-Pokal in Kaiserslautern, und beim 2:2 in Schalke, als der Finne - beim Stand von 2:0 für Bayer - verletzt ausgewechselt wurde.

Viele sehen das als Menetekel, Heynckes vertraut lieber Hyypiäs Ersatzmann, dem 21-jährigen Stefan Reinartz. "Ich wiederhole mich zwar", sagt der Trainer, "aber es ist einfach phantastisch, was er in seinem ersten Bundesligajahr leistet." Hyypiä wird zudem an Bord sein, wenn der Bayer-Bus nach Norden fährt. "Sami und Stefan sitzen fast nebeneinander, sie unterhalten sich oft", sagt Heynckes und freut sich, dass auch ihm ein bisschen Hokuspokus eingefallen ist. Dieser Meisterkampf wird schließlich nicht nur auf dem Rasen entschieden. Sondern auch an den Stammtischen.

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SZ vom 20.02.2010/jbe
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