Süddeutsche Zeitung

Borussia Mönchengladbach:In der Abwehr schön hyggelig

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Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Es ist 50 Jahre her, dass die Olsen-Bande zu Dänemarks Exportschlager im Entertainmentbereich wurde. Trottelige Kleinganoven versuchten 14 Spielfilme lang, einen Coup zu landen - heute wird sogar im dänischen Einbürgerungstest nach ihnen gefragt. Am Niederrhein sind dänische Unterhaltungskünstler auch dieser Tage en vogue, aber man darf sie mit den Olsens nicht zusammenwerfen: Andreas Christensen, 20, und Jannik Vestergaard, 24, versuchen bei ihren Auftritten nämlich unter allen Umständen, Klamauk und Slapstick zu vermeiden. Meistens gelingt ihnen das ganz gut.

Die beiden Dänen, die in der Jugend beim Kopenhagener Vorort-Klub Bröndby gespielt haben, bilden in dieser Saison die Innenverteidigung von Borussia Mönchengladbach. Mit 33 Gegentoren in 24 Ligaspielen gehören sie zwar nicht zu den verschlossensten Abwehrreihen, aber sie glänzen in der Spieleröffnung und wirken auch torgefährlich. Mit ihnen träumt Gladbach davon, endlich mal wieder einen Coup zu landen.

In der Bundesliga hat die Borussia den Anschluss ans obere Drittel wiederhergestellt, im DFB-Pokal empfängt sie im April Eintracht Frankfurt zum Halbfinale - und an diesem Donnerstag will Gladbach gegen Schalke 04 ins Viertelfinale der Europa League einziehen. Ein 0:0 oder ein Sieg genügt nach dem 1:1 im Hinspiel, dann stünde Gladbach erstmals seit 30 Jahren unter den letzten acht eines europäischen Wettbewerbs. 1987 hatte man es zuletzt ins Halbfinale des Uefa-Pokals geschafft.

Heimkehr zu den Wurzeln seiner Mutter

Christensen und Vestergaard können sich also einen kleinen Platz in Gladbachs Geschichtsbuch sichern. Allerdings wird Christensen bei der Borussia wohl nur eine kleine Episode bleiben, denn seine Rückkehr zum FC Chelsea im Sommer gilt nach zweijähriger Ausleihe als sicher. Vestergaard hingegen, im Vorjahr für elf Millionen Euro aus Bremen gekommen, hat einen Vertrag bis 2021, und dass er mindestens so lange bleibt, ist schon aus familiären Gründen denkbar.

Sein Wechsel zur Borussia war für Ahnenforscher nämlich vorhersehbar. Vestergaard wurde 1992 in Kopenhagen geboren und spielte für Bröndby, ehe er 2010 nach Hoffenheim wechselte, 2015 nach Bremen und 2016 nach Mönchengladbach. Es war schrittweise eine Heimkehr zu den Wurzeln seiner Mutter, denn Wiebke Vestergaard, geborene Schroers, stammt aus Krefeld.

Der Name Schroers hat im niederrheinischen Fußball durchaus Bedeutung: Großvater Hannes spielte in den Sechzigern für Fortuna Düsseldorf, Onkel Jan in den Neunzigern für Alemannia Aachen und Cousin Mika spielt momentan in der Gladbacher U15: "Ich sehe meine Familie häufiger als früher, aber leider nicht so oft, wie ich's mir wünsche, denn dafür sind wir zu viel unterwegs und spielen alle drei Tage woanders", sagt Vestergaard. "Die Familie ist mir wichtig."

In einem alten Kinderlied heißt es über die Mentalität der Dänen: "Wir sind nicht geschaffen für Höhe und Wind - am Boden zu bleiben am besten uns dient." Die Dänen, sagt Vestergaard lächelnd, seien schon speziell: "Ich würde sagen, dass wir etwas entspannter und relaxter sind als die Deutschen, bei denen alles klar geregelt sein muss; in Dänemark duzen wir uns zum Beispiel alle, gesiezt wird nur die Königsfamilie - und es gibt ein eigenes Wort, das oft benutzt wird und das die Dänen wohl am besten beschreibt: 'hyggelig' - das heißt gemütlich, angenehm, nett, gut."

Schön hyggelig am Boden zu bleiben, dient Vestergaard (1,99 Meter, Schuhgröße 47) beim Fußball aber nicht gerade. Er zelebriert seine Sprungkraft. Wenn er mit nach vorne geht, ist er in der Luft gefährlich - fünf seiner acht Bundesliga-Tore (in 143 Spielen) hat er mit dem Kopf erzielt. Gladbachs dänisches Defensivduo beeindruckt schon in jungen Jahren mit Abgeklärtheit und körperlicher Präsenz. Herkunft, Sprache und Teamposition schweißen zusammen. "Wir teilen uns auf Reisen ein Zimmer und sprechen Dänisch, auf und neben dem Platz", sagt Vestergaard.

Seine Mutter Wiebke spielt Cello an der Kopenhagener Philharmonie, sein Vater John ist ein hohes Tier bei der Polizei. Der Sohn vereint Kreativität und Sicherheitsdenken in seiner Art Fußball zu spielen, und er wäre damit wegen seiner deutschen Wurzeln sogar eine Option für die DFB-Elf gewesen. Allerdings ist es dafür zu spät: "Erstens habe ich mich in der dänischen Nationalmannschaft festgespielt", sagt er, "zweitens fühle ich mich, ehrlich gesagt, auch etwas mehr dänisch als deutsch."

Am Niederrhein wissen sie das zu schätzen. Sie lieben hyggelige Fußballer, seit der dänische Stürmer Allan Simonsen in den Siebzigern zu einer Ikone der Borussia avanciert war.

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SZ vom 16.03.2017
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