Süddeutsche Zeitung

Beachvolleyball-WM:Wettlauf mit der Zeit

Lesezeit: 3 min

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Als Olympiasieger kann man auch so eine Art eigenes Unternehmen sein. Julius Brink, 36, der 2012 in London zusammen mit Jonas Reckermann die Goldmedaille im Beachvolleyball gewann, ist ein meist gut gelaunter Selfmademan. Er ist bei den Weltmeisterschaften in Hamburg Experte für die ARD, er arbeitet für die Kommunikation der Major Tour, moderiert Verbandstagungen und Pressekonferenzen. Und er interviewt, wie bei der WM, unmittelbar nach den Spielen die Beachvolleyballer im Center Court am Rothenbaum.

Zudem ist Brink, der nun nur noch etwa 50 statt 250 Tage im Jahr für das Beachvolleyball unterwegs ist, Mentor des besten deutschen Männerteams Julius Thole/Clemens Wickler. Die beiden sind in die K.-o.-Runde eingezogen, obwohl sie noch nicht so locker auftrumpften wie 2018 beim Welttour-Finale ebenfalls in Hamburg. Damals zogen sie als Unbekannte und nur dank einer Wildcard ins Turnier ein und wurden überraschend Vierte. Das werde nie wieder passieren, sagt Brink.

Es sei schon eine große Drucksituation, wenn plötzlich nicht nur Vater und Mutter zugucken, sondern ganz Deutschland - und wenn alle erwarten, dass sie nun eine ähnliche Leistung wiederholen.

Verschiebungen zugunsten der Europäer

Die Mentorenschaft sieht Brink eher als Sympathisanten-Rolle. Der andere Mentor, Markus Dieckmann, sei als Technik-Trainer viel wichtiger. Wie auch immer: Er sieht das Team trotz des nervösen Beginns auf dem richtigen Weg. Obwohl der Hamburger Thole und der Starnberger Wickler "noch immer in der Entwicklungsphase und nicht komplett ausgebildet sind", traut er ihnen eine Überraschung bei diesen Titelkämpfen zu. "Alles kann, nichts muss", sagt er. Die Qualität für Olympia sei auf jeden Fall da, anders als bei den anderen deutschen Männerteams Erdmann/Winter und Ehlers/Flüggen.

Überhaupt habe der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) nach seinem Olympiasieg "den Kampf um die Athleten" lange Zeit nicht so betrieben, wie man es machen müsse, um international vorn dabei zu sein. Die Talente-Delle sei "hausgemacht" gewesen wegen der lange Zeit ungenügenden Förderstruktur.

Insgesamt sieht Brink Verschiebungen zugunsten der Europäer. Die Brasilianer und US-Amerikaner seien nicht mehr so dominant wie früher. Zuletzt sei es meist in einem scheinbar ausgeglichenen Feld so ausgegangen, dass die beiden jungen Norweger Anders Mol, 21, und Christian Sörum, 23, mit ihrer schon erstaunlichen Abgeklärtheit und Coolness am Ende siegten. Und das, obwohl zehn bis zwölf andere Teams nicht viel schlechter gewesen seien. So könne es auch diesmal kommen, glaubt der Experte.

Anders als bei den Männern sieht er bei den Frauen die Qualität für Olympia gleich bei zwei deutschen Teams: seiner Olympiasiegerin-Kollegin Laura Ludwig und ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch traut er das ebenso zu wie dem neuen Gespann Julia Sude und Karla Borger, die mit drei Siegen ihre Gruppenspiele abschlossen. Dabei entspricht so ein Neuzugang im Beachvolleyball als ob man im Fußball die Hälfte der Mannschaft neu besetzen würde. Und wenn es wie bei Kozuch noch jemand ist, der vom Hallenvolleyball kommt, sei das, als würde man gerade aus der zweiten Liga aufsteigen. Die Blockerin Kozuch müsse sich erst noch das Werkzeug aneignen, findet Brink; vor allem, wie man ein Spiel gestaltet und wie man am besten taktisch agieren müsse.

Umso mehr bewundert er Laura Ludwig, wie weit sie nach ihrer Mutterschaft und dem Verlust ihrer alten Partnerin Kira Walkenhorst schon wieder ist. Am Dienstag sicherte sich das Duo mit ihrem zweiten Sieg - einem erwarteten 21:10, 21:9 in nur 33 Minuten gegen die Außenseiterinnen Tochukwu Nnouruga und Francisca Ikhiede aus Nigeria - doch noch den ersten Gruppenplatz, weil die Brasilianerinnen Maria Antonelli/Carol zur gleichen Zeit gegen die Amerikanerinnen Kelley Larsen/ Emily Stockman unterlagen.

Die erfahrenen Beachvolleyballerinnen Borger und Sude müssen weniger aufholen als Ludwig und ihre neue Partnerin. Die Dumme ist aber Chantal Laboureur, die von Sude verlassen wurde, obwohl sie gemeinsam kurze Zeit die Nummer eins der Welt waren. Laboureur hat wohl trotz der Qualifikation für die K.-o.-Runde mit ihrer neuen Mitspielerin Sandra Ittlinger kaum eine Chance, ganz oben mitzuspielen.

"Es würde mich sehr wundern, wenn Julia und Chantal noch zusammen Abendessen gehen", sagt Julius Brink. Das ist die Kehrseite des Neustarts bei den Frauen, der damit begann, dass Ludwig eine neue Partnerin brauchte. Besonders bei Ludwig/Kozuch ist Brink gespannt, ob die "den Wettlauf mit der Zeit gewinnen". Es sind nur noch 13 Monate bis Olympia in Tokio.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2019
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