Süddeutsche Zeitung

Beachvolleyball-WM:Die Thole-Wickler-Festspiele

Lesezeit: 3 min

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Das größte Sportwochenende des Jahres in der Hansestadt Hamburg hatte gleich drei Höhepunkte zu bieten. Viele Straßen in der Innenstadt waren wegen der Weltserie des Triathlons gesperrt, in Horn fand der vorletzte Tag des traditionsreichen Galopp-Derbys statt, und im Tennisstadion am Rothenbaum steuerte die Beachvolleyball-WM auf ihr Finale zu.

Die mit Abstand größte Stimmung entwickelte sich aber beim Spiel im Sand. Es wurden nämlich Thole-Wickler-Festspiele. Mit einem 17:21, 21:16, 15:12-Sieg gegen die norwegischen Weltranglisten-Ersten Anders Mol/Christian Sörum zog das Hamburger Duo Julius Thole und Clemens Wickler (in Starnberg geboren) nach einem fantastischen Duell ins Finale ein, das sie am Sonntag gegen die Russen Wjatscheslaw Krassilnikow und Oleg Stoyjanovki (14 Uhr) bestreiten. Es war der zweite große Erfolg an diesem Tag. Insgesamt haben sie nun an drei Tagen viermal brilliert. Mit einem fünften Mal am Sonntag wären sie Weltmeister.

Der Samstag hatte schon am Mittag mit einem 21:18, 21:17-Erfolg gegen die Altmeister Phil Dahlhausser und Nick Lucena (USA) im Viertelfinale begonnen. 12 000 Fans sangen den Namen der neuen deutschen Beach-Helden, da waren die professionellen Anheizer ums abgesteckte Sandfeld überflüssig. Schon am Freitagabend tönte "Oh, wie ist das schön" über die Anlage. Die Zuschauer sind ein erheblicher Pluspunkt für die beiden einzigen verbliebenen Deutschen. Schon am Samstagmorgen bildeten sich erneut lange Schlangen vor den Toren der Rothenbaum-Arena.

Selbst der so kritische Sportdirektor spricht von einer "Weltklasseleistung"

Thole, 22, und Wickler, 24, hatten das Turnier aus deutscher Sicht schon da gerettet, nachdem die anderen neun Teams - einschließlich der Werbeikone Laura Ludwig mit ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch - früh ausgeschieden waren. Selbst Niclas Hildebrand, der sonst so kritische Sportdirektor Beach des Deutschen Volleyball-Verbandes, hatte ihnen schon am Freitag eine "Weltklasseleistung" beim Sieg über den brasilianischen Olympiasieger von 2016 und Weltmeister von 2015, Alison Cerutti mit seinem neuen Partner Alvaro Filho bescheinigt. Fast noch stärker waren sie am Tag zuvor gegen die niederländischen Weltmeister von 2013, Alexander Brouwer und Robert Meeuwsen gewesen, als Julius Thole unglaubliche zwölf Blocks hinlegte.

Selbst ihrem Mentor Julius Brink blieb quasi die Spucke weg. Er hatte ihnen zwar den großen internationalen Durchbruch prophezeit. Bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio traut der Olympiasieger von 2012 (mit Jonas Reckermann) ihnen einen Medaillenrang zu. Aber dass das Team, das erst seit Herbst 2017 zusammenspielt, nun gleich so schnell in die Weltspitze aufsteigt, das hatte auch er nicht erwartet. Die am Mittag geschlagenen US-Amerikaner, deren WM-Titel und Olympiasieg schon zwölf beziehungsweise elf Jahre her sind, lobten die Deutschen. "Sie sind sehr weit für ihr Alter", sagte Dahlhausser anerkennend. Als er selbst 22 Jahre alt war, habe er "nur draufgehauen". Aber dieses Duo habe bei jedem Problem eine Antwort gehabt, auch dank ihrer Variabilität.

Dieses Spiel kam also schon einer Wachablösung gleich. Die inzwischen 39-jährigen Amerikaner waren in der Jugend einmal die Helden der Deutschen. Vor fünf Jahren hat Wickler in Klagenfurt gezeltet, um ihre Auftritte zu sehen. Beim zweiten direkten Aufeinandertreffen hat vor allem Thole mit wiederum acht Blocks sein Vorbild Dahlhausser (nur drei Blocks) im wahrsten Sinne alt aussehen lassen. Und nun haben sie auch die in etwa gleichaltrigen Norweger bezwungen, die zuletzt acht Turniere in Folge gewonnen hatten.

Nun sind die für den Eimsbütteler TV startenden Beachvolleyballer selbst dabei, zu Sportidolen zu werden - und das, obwohl den DVV auch wegen eigener Fehler Nachwuchssorgen plagen. Wie populär die beiden zumindest in Hamburg schon sind, zeigten auch die Umfragen der örtlichen Radiosender bei den Zuschauern. Ein weiblicher Fan meinte, er könnte "die beiden knuddeln", weil sie so bodenständig, fair und eloquent seien. Dass letztlich etwa 130 000 Zuschauer in neun Tagen an den Rothenbaum pilgerten, hat auch mit diesem Gespann zu tun, das neben der Sportkarriere Jura (Thole) und BWL (Wickler) studiert.

Die beiden Studenten haben auf Platz 60 oder 70 der Weltrangliste angefangen und taten sich anfangs schwer. Dann kam der überraschende vierte Rang beim Welttour-Finale im vergangen August in Hamburg, nur möglich mit einer Wildcard. Seitdem ist das passiert, das Wickler gerade als "Märchen" beschrieb. Sie profitieren aber neben ihrem Talent auch von ihrem guten Team drum herum. Trainer Martin Olejnak (der auch Chef-Bundestrainer ist) habe sie immer wieder perfekt eingestellt, betonten sie. Die Athletik-Coaches und die Physiotherapeuten hätten ebenso Anteil am Erfolg wie der DVV-Scout Raimund Wenning.

Und die Psychologin Anett Szigeti hat ebenfalls einen besonderen Platz. Nicht nur, weil sie gern mit ihr essen gehen. Vor jedem Spiel gibt es noch eine kurze Besprechung mit ihr. Auch deshalb bleiben der Abwehrspieler Wickler und der clevere Blocker Thole selbst dann meist positiv, wenn es mal nicht so gut läuft. Etwa, als sie den ersten Satz gegen Mol/Sörum trotz einer 14:11-Führung noch verloren. Oder als sie im dritten Satz schnell 2:5 in Rückstand lagen. Mit den Zuschauern im Rücken kamen sie wieder zurück.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2019
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