Süddeutsche Zeitung

Bayer Leverkusen:Sieg ohne Selbstvertrauen

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Unter dem neuen Trainer Hannes Wolf überzeugt Leverkusen spielerisch zwar noch nicht, stoppt aber mit einem 2:1 gegen den designierten Absteiger Schalke den Absturz der vergangenen Wochen.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Begegnen sich zwei frustrierte Fans. Klagt der Leverkusener: "Wir haben in der Rückrunde in zehn Spielen nur elf Punkte gemacht." Erwidert der Schalker: "Was willst du? Wir haben in der gesamten Saison erst zehn Zähler gesammelt." Das war die Fallhöhe am Ostersamstag in Leverkusen, wo zwei jener Bundesligisten antraten, die in dieser Spielzeit am weitesten unter ihren Ansprüchen geblieben sind. Am Ende des Nachmittags hatte der Werksklub mit 2:1 (1:0) gegen Schlusslicht Schalke 04 gewonnen und den Absturz der vergangenen Wochen erst einmal gestoppt - aber der Einstand von Trainer Hannes Wolf, der in der Länderspielpause bei Bayer für den zuletzt ratlosen Peter Bosz übernommen hatte, geriet zäher als die meisten Osterbraten.

"Ich bin zufrieden", sagte der 39-Jährige dennoch, der sein erstes Spiel als Erstligacoach seit 2018 erlebte (damals ein 0:2 mit dem VfB Stuttgart gegen ... Schalke 04). Dann räumte er ein: "Im letzten Drittel fehlte die Endbeschleunigung, da geht's bestimmt noch flüssiger. Aber am Ende steht der Sieg, und das zählt." Wer dem Nachmittag einen positiven Spin geben wollte, verwies auf die gnadenlose Effizienz der früher verschwenderischen Leverkusener: zwei Chancen, zwei Tore.

Gekonnt und glücklich: Demirbay bereitet unorthodox das 1:0 vor

Der neue Trainer setzte zu Beginn auf Kerem Demirbay und Nadiem Amiri als spielbewegende Figuren im Mittelfeld; der 17-jährige Florian Wirtz schaute von der Bank aus zu, wie seine Kollegen zunächst vergeblich versuchten, die Schalker Abwehr zu überwinden, die mitunter wie eine Neunerkette angeordnet war. Viele Ideen waren ungenügend, und immer häufiger sahen die Szenen altbekannt aus: Außenverteidiger Wendell rutschte aus, Außenstürmer Bellarabi schlug unpräzise Flanken, Amiri verhedderte sich, Demirbay drehte lieber noch einen Kreisel, als wagemutig das Spiel zu beschleunigen.

Nach den jüngeren Rückschlägen sei es "doch verständlich, dass die Mannschaft nicht mit dem höchsten Selbstvertrauen" angetreten sei, sagte Bayers Verteidiger Sven Bender. Der neue Trainer habe die "Strukturen geändert, daran müssen wir uns erst einmal gewöhnen". Demirbay gab zu: "Wir können besser Fußball spielen. Aber mit dem Ergebnis sind wir zufrieden." Dass er mit seiner Rolle unter Trainer Bosz nicht immer glücklich war, ließ er durchblicken, als er sagte: "Ich habe in den letzten Monaten und Jahren auch ein bisschen weniger Vertrauen gespürt. Ich habe Spaß an meiner Arbeit und ich spüre wieder Vertrauen."

Demirbay unterliefen mehrere heikle Ballverluste, die von stärkeren Gegnern vermutlich bestraft worden wären. Aber er hatte Anteil am Sieg. Denn just als es so aussah, als hätte sich beim Werksklub so gut wie nichts geändert, legte Demirbay volley einen Flankenwechsel von Aránguiz an der linken Strafraumkannte (gewollt oder glücklich) um den verblüfften Gegenspieler Aydin herum. Und da der Schalker keinen Strafstoß provozieren wollte, kam Demirbay ungestört zu einer flachen Hereingabe, die Lucas Alario in Mittelstürmer-Manier über die Linie drückte (26. Minute).

Grundlegendes änderte dieses 1:0 am Spiel nicht: Schalke wirkte bemüht, aber unsagbar harmlos - und Leverkusen blieb fahrig, wenn es darum ging, mal nicht quer zu spielen, sondern in die Tiefe. Einzig das Comeback von Sven Bender war auffällig gut, weil er nicht bloß die meisten der nostalgisch stimmenden Duelle gegen den 37-jährigen Klaas-Jan Huntelaar für sich entschied, sondern auch zur Beruhigung seines Kollegen Tapsoba beitrug, der zuletzt in ein Formloch gestürzt war, weil er überall aushelfen und Löcher stopfen wollte und seine Aufgaben als Innenverteidiger vernachlässigte.

Huntelaar trifft zweimal - aber nur ein Tor zählt

Nach der Pause passierte Überraschendes: Der designierte Absteiger Schalke wurde mutiger. Nach einer feinen Kombination über Kolasinac und Bozdogan erzielte Huntelaar ein Tor - aber es war knapp ein Abseitstor (58.). Wolf reagierte und brachte Wirtz, dessen Ideen frischer wirkten als die seiner Mitspieler, prompt schickte er den ebenfalls eingewechselten Patrik Schick, der mit einem starken Linksschuss aus 16 Metern zum 2:0 traf (72.).

Aber ganz stabil ist Leverkusen noch lange nicht. Der zuletzt fehlerbehaftete Jonathan Tah ließ sich auf kleinstem Raum düpieren, Huntelaar stoppte eine Flanke von Bozdogan mit der Brust und vollendete kühl (81.). Es war das erste Schalker Tor unter dem neuen Coach Dimitrios Grammozis, dem der Niederländer damit den unangenehmen Rekord ersparte, in den ersten vier Spielen als Bundesliga-Trainer ohne Tor geblieben zu sein.

Würde Bayer nun wackeln? Nein, und das freute Wolf besonders, weil "wir nichts mehr zugelassen haben", und genau das war dem Team zuletzt zu selten gelungen. Wo der Tabellensechste wirklich steht? Das weiß man spätestens in drei Wochen, nach Leverkusens Duell mit Eintracht Frankfurt, dem Vierten.

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