Süddeutsche Zeitung

Ballon d'Or:Weniger Pizza für Weltfußballer Messi

Lesezeit: 4 min

Lionel Messi entthront seinen großen Rivalen Cristiano Ronaldo. Dem Argentinier ist ein erstaunlicher Wandel geglückt.

Von Oliver Meiler

Reife ist eine relative Kategorie, auch eine subjektive. Dennoch lässt sich wahrscheinlich recht risikofrei behaupten, dass Lionel Messi das Jahr 2015, das ihm nun seine fünfte Auszeichnung als Weltfußballer bescherte, seine fußballerische Reife erreicht hat. Mit 28 Jahren. Messi ist tatsächlich erst 28!

Dabei könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass dieser junge Mann aus Rosario in Argentinien den Fußball seit langem prägt. So viele Bilder haben sich in die Köpfe der Fans gebrannt, so viele Tor- und Beinschüsse, so viele schnelle Antritte und perfekt gezeichnete Freistöße, so viele kindliche Jubelszenen. Seit neun Jahren reist Messi nun schon nach Zürich, immer im Januar, um dort zu erfahren, ob man ihn für den Weltbesten oder den Weltzweitbesten hält.

So konstant ist er, so rund seine Karriere. 2015 war ein konfuses, hoch kompliziertes Jahr für seinen Verein, den FC Barcelona. Es begann mit "Anoeta", nunmehr ein stehender Begriff in der Welt des Barcelonismo. Anoeta heißt das städtische Fußballstadion im baskischen San Sebastián, Spielstätte von Real Sociedad. Barça musste gleich nach der Weihnachtspause im Januar 2015 dort antreten. Es war ein verregneter, kalter Tag. Die Beziehung zwischen dem neuen Trainer, Luis Enrique, und seinen wichtigsten Angestellten war angespannt. Mit ständigen Umstellungen hatte Enrique alle verrückt gemacht. Für das Spiel in San Sebastian beschloss er, Messi und Neymar auf der Bank zu lassen. Turnover. Enrique wollte beweisen, dass es auch ohne sie geht. Barça verlor 0:1. Es war mehr als eine Niederlage.

Nach Cristiano Ronaldos "Siiiii!" bei der letzten Auszeichnung wurde alles anders

"Anoeta" wurde zum Fanal. Der Zyklus des goldenen Barça aus den Zeiten mit Pep Guardiola schien nun endgültig vorbei zu sein. Schon das Jahr unter Trainer Tata Martino war ernüchternd gewesen. Die Analysen in den Zeitungen muteten wie Abgesänge an, dazu zeigten die Blätter die tristen Gesichter von Messi, Xavi und Iniesta. Dann jedoch passierten in Barcelona gleich mehrere Dinge in rascher Folge.

Der Verein entließ zunächst Andoni Zubizarreta, den Sportdirektor, der als Sündenbock herhalten musste und das ohne Aufbegehren tat. Die Entscheidung war auch deshalb zu verkraften, weil Barcelona wegen einer Sperre der Fifa ohnehin für ein Jahr keine Transfers tätigen durfte. Dann setzte der Klub vorzeitige Neuwahlen fürs Präsidium an, um die Mitglieder zu besänftigen - und führte sie doch erst im Sommer durch, um Zeit zu gewinnen und mit der dünnen Hoffnung, die Erfolge würden bis dann zurückkommen. Alles schien zu implodieren, das Selbstverständnis des erfolgreichsten, aufregendsten Fußballklubs der jüngeren Vergangenheit.

Was das Publikum nicht mitbekam: In dieser Zeit gab Veteran Xavi hinter den Kulissen den Diplomaten und vermittelte zwischen Enrique und Messi. Er brachte die beiden dazu, dass sie überhaupt einmal miteinander redeten. "Er oder ich!", soll Messi davor gesagt haben. Er gab zu verstehen, dass er sich auch mal ein Engagement in einem anderen Verein vorstellen könnte, in England zum Beispiel. In den sozialen Netzwerken folgte er nun dem FC Chelsea und Manchester City.

Dann redeten Messi und Enrique miteinander. Wohl nicht viel, aber es reichte. Messi flog dann mehrmals in den Norden Italiens zu einem Ernährungsberater, der auch andere argentinische Profis betreut. Dieser brachte ihm bei, gesünder zu leben: weniger Pizzas und weniger Chips zu essen, weniger Cola zu trinken. Auch wegen der Probleme mit dem Magen, der Brechattacken.

Messi verlor Gewicht. Am deutlichsten war das an seinem Gesicht zu erkennen. Plötzlich aber wirkte er viel fitter, rannte wieder wie zu Peps Zeiten. Es war, als reiße sich da einer selber aus der Lethargie. Glaubt man den Legenden, dann trug Messis große Nemesis, Cristiano Ronaldo, maßgeblich zu der Trotzreaktion bei. Bei der Prämierung zum Weltfußballer hatte der Portugiese einen eigentümlichen Urschrei ausgestoßen: "Siiiii!" In der katalanischen Deutung kam Messi dieses "Siiiii!" wie eine frontale Herausforderung vor. Es weckte ihn.

Die These lässt sich mit Zahlen belegen. Danach verlor Barça kaum noch mehr. Der Klub gewann alle fünf wesentlichen Wettbewerbe: Spaniens Meisterschaft, den Königspokal, die Champions League, Europas Supercup, zuletzt die Klub-WM gegen River Plate. Enrique hatte mit dem Rotieren aufgehört. Und er übertrug das Spiel Messi, der seine Rolle als "falscher Neuner" aufgab und nun wieder über den rechten Flügel kam, wie in den Anfängen seiner Karriere. Von dort führte er Regie, zog Verteidiger auf sich und versetzte ganze Gegnerschaften mit seinen ansatzlosen, präzisen, weiten Pässen auf Neymar, der auf der linken Flanke daher tänzelte und mit dem bulligen Luis Suárez kombinierte, der im Strafraum wühlte.

Der Dreizack war geboren, "El Tridente". Zum ersten Mal war es Barça gelungen, Messi zwei Stürmer zur Seite zu stellen, die mit ihm harmonierten. Sie hatten es mit Zlatan Ibrahimovic versucht, mit Samuel Eto'o, mit David Villa. Alle mussten gehen, weil es nicht ging. Dann kam der Tag, da Messi zu Suárez sagte: "Du, dort!" Und in die Sturmspitze zeigte. So erfand sich Messi neu, mit einer reifen Rückbesinnung.

Wer bei Barça die Tore schießt, ist seither nicht mehr so wichtig. Es gibt genügend für alle. In der laufenden Saison erzielte das "Tridente" 39 von Barças 44 Meisterschaftstoren, 88 Prozent von allen. Es hat den Anschein, als gönnten sie einander jede Freude, lächelnd und herzend. Wobei Neymar und Suárez natürlich bei jeder Gelegenheit Messis unerreichter Größe huldigen, als wären sie selber nur kleine Statisten. Manchmal ist das etwas lächerlich. Doch ganz oben in dieser überdrehten Welt ist das emotionale Gleichgewicht nun einmal prekär. Harmonie ist da fast alles, zumal für nachhaltigen Erfolg. Für eine neue Ära.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2016
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