Süddeutsche Zeitung

Austria-Tirol-Haus bei Olympia:Ungeniert "Ö"

Lesezeit: 2 min

Die Deutschen denken in ihrem Olympia-Haus in Sotschi oft über ihre Außenwirkung nach. Die Österreicher sind in ihrem Haus einfach Österreicher. Am Abend des Abfahrtssiegs kommt DJ Coco extra aus Ischgl und Wladimir Putin trinkt Schnaps im roten Skianzug.

Von Michael Neudecker, Krasnaja Poljana

Karl Schranz ist groß, in Österreich einer wie Franz Beckenbauer, Karl Schranz steht über den Dingen. Um klarzustellen, wie eine alpine Gottheit wie er den Wintersport sieht, zu Recht selbstredend, ein kurzer Dialog aus dem Österreich-Haus, am späten Sonntagabend.

Sagt eine deutsche Reporterin: "Hey, Felix Loch hat gerade Gold gewonnen!"

Sagt Karl Schranz: "Wer is' da Loch?"

Die Deutsche: "Na, der Rodler!"

Schranz: "Ah so. A Rodler."

Rodeln imponiert dem Schranz nicht so, er ist eine Abfahrts-Ikone, drüber geht nix mehr, und was drunter is', is' eh wurscht. Rodeln war sowieso nicht das Thema am Sonntag, seit Sonntag hat Österreich einen neuen Abfahrtshelden, der junge Kärntner Matthias Mayer gewann Gold, und wenn man etwas über Stimmung lernen will, gibt es keinen besseren Ort als das Österreich-Haus am Abend eines Abfahrts-Olympiasieges.

Das Austria-Tirol-Haus, wie es offiziell heißt, ist ein Ort der Glückseligkeit, bei Olympia meist der Ort, an dem die Stimmung am besten ist. Das Deutsche Haus ist ein Haus der Repräsentation, die Deutschen denken oft über ihre Außenwirkung nach, sie sind in ihrem Haus so, wie sie möchten, dass die Welt sie sieht. Die Österreicher sind in ihrem Haus ungeniert Österreicher.

Für den Abfahrts-Abend haben sie den Musiker DJ Coco aus Ischgl "äägens äänfliegen lossen", wie der Moderator verkündet, es werden Tirol-Fähnchen verteilt, als Kellner verkleidete Comedians bedienen, und wenn man sich nicht angemeldet hat, sagt die Frau am Eingang: "Na jo, dann schreim ma Sie a'foch auf die Listn drauf."

Mittendrin: Karl Schranz. Und Egon Zimmermann, "der älteste lebende Abfahrts-Olympiasieger Österreichs", sagt der Moderator. Und, ja: Wladimir Putin. Der Chef der Russen ist am Sonntag tatsächlich im, wie man umgangssprachlich sagt, "Ö-Haus", bekleidet mit einem roten Skianzug, was ein kleines bisschen komisch aussieht. Er gibt Interviews auf Deutsch, dann setzt er sich an einen Tisch mit österreichischen Honoratioren und einer Frau, die offenbar aus dem Zillertal kommt und recht gut jodeln kann.

Alle halten ein Schnapsglas, sie prosten sich zu, dann stößt die Zillertalerin einen beeindruckenden Jodler aus. Putin schaut, als sei er zugleich begeistert und irritiert.

Putin ist dann bald wieder gegangen, angeblich weiter zum Skispringen, er hat Matthias Mayer dadurch ziemlich deutlich verpasst. Mayer, er ist 23, kommt um kurz vor halb elf. Die Bühne ist im zweiten Stock, aber der Moderator holt Matthias Mayer und die riesige Schar Fotografen und Kameraleute und Reporter am Eingang ab, oben hört man, was er sagt. Er ruft: "Jetzt, meine Damen und Herren, hat Matthias Mayer nur noch 30 Stufen!" Es ist ein Moment unglaublicher Spannung.

Dann ist er da, singen, klatschen, Fähnchenschwenken, der DJ spielt "Hells Bells" von AC/DC und die Tiroler Hymne. Mayer sagt auf der Bühne ein paar Sachen, dann ruft der Moderator: "So, und jetzt macht der Matthias eine Gratulationstour, jeder soll die Gelegenheit haben, Kontakt zu haben mit dem Olympiasieger!" Jeder nutzt die Gelegenheit.

Nach einer Stunde geht Matthias Mayer wieder, es ist da fast Mitternacht. Die Luft ist dann zwar irgendwie raus, aber das ist okay. Man kann die Luft nicht ewig anhalten.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2014
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