Süddeutsche Zeitung

Atlanta Hawks in den NBA-Playoffs:Ermattet vom schönen Spiel

Lesezeit: 3 min

Von Jonas Beckenkamp

Schwer zu sagen, ob sie in den USA die Sache mit dem "ö" noch lernen werden. Der Umlaut der deutschen Sprache führt bei amerikanischen Sportkommentatoren regelmäßig dazu, dass Dennis Schröder sich in etwa so anhört: "Schruuuder". Auch am Sonntagnachmittag (Ortszeit) in Atlanta war dieser "Schruuuder" aus Germany wieder ein Thema - zumindest eine Halbzeit lang. Das Basketballteam der Hawks befindet sich in einer spannenden Phase, im Halbfinale der Eastern Conference in der NBA geht es gegen die Washington Wizards und natürlich durfte auch der deutsche Aufbauspieler wieder seine Künste zeigen.

Schröder brach ein paar Mal beherzt zum Korb durch, er organisierte mit erstaunlicher Ruhe die Offensive, zur Pause stand es 62:53 für sein Team. Ein Ergebnis wie zu erwarten, schließlich spielen die Hawks bisher eine außergewöhnlich starke Saison. Was dann geschah, sorgt in der amerikanischen Sportszene aber für großes Erstaunen: Atlanta lieferte eine zweite Hälfte ab, in der plötzlich gar nichts mehr klappte. Würfe knallten wie Backsteine auf den Ring, Pässe flutschten durch die Hände Richtung Seitenaus, selbst der gute alte Schrittfehler erlebte ein Revival.

Am Ende lagen sich die Gäste aus der Hauptstadt in den Armen, sie hatten den Favoriten mit 104:98 überrumpelt und führen nun in der "Best-of-Seven"-Serie mit 1:0. Im amerikanischen Basketball ist das die größte Überraschung des Frühlings. Die reguläre Saison hatten Schröders Hawks erst kürzlich mit 60:22 Siegen abgeschlossen, was ligaweit nach den Golden State Warriors die zweitbeste Bilanz ist. Atlanta-Basketball macht für gewöhnlich richtig Spaß: Kein Team in der NBA spielt so mannschaftsdienlich, nirgends wird so großer Wert aufs Passspiel gelegt und kaum eine andere Mannschaft ist so schwer auszurechnen.

Egal ob Regisseur Jeff Teague, Dreierspezialist Kyle Korver, Alleskönner Paul Millsapp oder neuerdings auch Flügelspieler DeMarre Carroll - bei den Hawks können alle punkten. Gegen die Wizards zeigte das Team von Trainer Mike Budenholzer 24 Minuten lang diese Qualitäten, von denen auch Dennis Schröder (am Ende neun Punkte und vier Assists) immer wieder profitierte. Beim Gegner herrschte großer Respekt: "Wir wussten, dass sie rauskommen würden und uns gleich einen Schlag verpassen werden", sagte Washingtons junger Spielmacher John Wall, der letztlich mit 18 Punkten und 13 Vorlagen glänzte.

Doch der Schlag verlor auf mysteriöse Weise seine Wucht. Hawks-Gehirn Jeff Teague war in der ersten Hälfte umgeknickt und wuselte fortan geschwächt übers Feld, Schröder traf noch einen Dreier zum 78:74 - verschwand dann jedoch aus unerklärlichen Gründen auf der Bank. Er durfte nur 14 Minuten aufs Parkett, sonst bekommt er wegen seiner Energie als Einwechselspieler deutlich mehr Einsatzzeit. Von draußen musste der Deutsche handtuchschwenkend zusehen, wie den Hawks die Partie entglitt. Befeuert von vielen Treffern aus der Distanz, übernahmen die Wizards beim Stand von 85:83 die Führung, an der sie sich in der Folge vehement festkrallten.

"Unser Tempo war in der ersten Hälfte höher. Vielleicht waren wir in der zweiten Hälfte müde oder so", meinte Centerspieler Al Horford, der selbst ein paar Mal freistehend danebenwarf. "Ich hatte einige Würfe, die wieder heraussprangen. Ich konnte es nicht glauben. Ich glaube, das war der Schlüssel in der Partie." Neben der plötzlichen Schlappheit bei Atlanta erwies sich auch die Taktik als entscheidender Faktor: Sie existierte kaum noch. Statt zum Korb zu ziehen und einfache Würfe zu kreieren, versuchten es die Hawks nur noch mit Schüssen von außen.

Ihren Matchplan des selbstlosen Spiels hatte die Mannschaft komplett über den Haufen geworfen. "Wenn man in der zweiten Hälfte nur 35 Punkte macht, kann man gegen dieses Team nicht gewinnen", sagte Atlantas Topscorer Carroll (24 Punkte). Solche Probleme scheinen sich bei Atlanta zu häufen, denn auch in der ersten Playoffrunde gegen die Brooklyn Nets traten trotz eines 4:2-Erfolges in sechs Spielen immer wieder kleine Schwächephasen zu tge. Als bestes Team des NBA-Ostens stehen die Hawks nun unter Druck: Ein frühes 0:2 gegen gute, aber bei weitem nicht überragende Washington Wizards wäre für Dennis Schröders Klub eine ziemliche Katastrophe.

"Wir müssen in der Offensive aggressiver sein", forderte Hawks-Trainer Budenholzer, der seinen Männern die schwierigen Würfe von außen wieder abgewöhnen will: "Wir müssen die Zone mehr attackieren." Gelegenheit zur Wiedergutmachung haben die Hawks in Spiel zwei am Dienstag erneut in der heimischen Arena. Übrigens, zu den großen Qualitäten von Dennis "Schruuuuder" zählt genau das: Augen zu und ab zum Korb.

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