Süddeutsche Zeitung

Fouls im American Football:"Ich bin Batman!"

Lesezeit: 3 min

American Football ist eine brutale Sportart - die schlimmen Verletzungen in den vergangenen Wochen lösen in den USA jedoch eine Debatte um die Gefährlichkeit des Sports aus.

Jürgen Schmieder

Im Jahr 1996 gab es einen Werbespot für einen Schokoriegel, in dem ein Footballspieler nach einem heftigen Zusammenstoß mit seinem Gegner auf dem Spielfeld liegen bleibt. Der Trainer eilt herbei und stellt dem Verletzten drei Fragen. Die ersten beiden beantwortet dieser korrekt, als er jedoch sagen soll, wer er eigentlich ist, da verkündet er stolz: "Ich bin Batman!"

14 Jahre nach der ersten Ausstrahlung erhält der vielfach prämierte Spot einen ernsten Hintergrund. Vier Profispieler der National Football League (NFL) wurden nach brutalen Zusammenstößen verletzt, ein Spieler der Universität Rutgers ist vom Hals abwärts gelähmt. Vor zwei Wochen war das, seitdem ist in den Vereinigten Staaten eine heftige Debatte über die Gefährlichkeit dieser Sportart entbrannt.

Es geht vor allem um die sogenannten Head-to-head-Hits, bei denen der Verteidiger seinen Gegenspieler mit dem Kopf voran rammt und nicht den Oberkörper, sondern Hals und Kopf des Gegners attackiert. Diese Hits sind laut Regelwerk zwar verboten, wurden von Schiedsrichtern und Verantwortlichen bislang jedoch nur selten sanktioniert - im Gegenteil: Die spektakulären Zusammenstöße werden nur zu gerne in Zusammenfassungen von Partien und in Werbeclips für kommende Spiele gezeigt, untermauern sie doch das Image von American Football als Sportart für echte Kerle. "Es ist ein furchtloses Spiel. Wer Angst hat, der wird nicht lange in dieser Liga bleiben", sagt Hines Ward, Receiver bei den Pittsburgh Steelers. "Ein brutales Tackle sichert einem einen Platz im Video mit den Höhepunkten."

Die Folgen dieser brutalen Tackles sind nicht nur Verewigungen in Sportsendungen, sondern auch dramatische gesundheitliche Schäden, wie kürzlich durch mehrere Studien bekannt wurde. Mehr als 60 Prozent aller Profispieler erleiden während ihrer aktiven Zeit eine Gehirnerschütterung, jeder Vierte gar drei oder mehr. Der Prozentsatz an ehemaligen Footballspielern, bei denen Gedächtniskrankheiten diagnostiziert werden, ist 19 Mal so hoch wie bei Männern im gleichen Alter, die nicht Football gespielt haben. Im April beging ein Student der Universität von Pennsylvania Selbstmord. Die Autopsie wies Schäden in seinem Gehirn nach, die auf seine Aktivitäten als Footballspieler zurückzuführen sind und die ihn depressiv werden ließen.

Die Faszination an der Sportart American Football liegt - neben der Begeisterung für die taktischen Finessen und die technischen Fähigkeiten der Spieler - auch darin, dass sich auf dem Spielfeld Kolosse mit scheinbar übermenschlichen Fähigkeiten gegenüberstehen, die furchtlos übereinander herfallen. Gefeiert werden vor allem jene Akteure, die trotz einer Verletzung antreten wie etwa der 41-jährige Quarterback Brett Favre. Der hat sich am vergangenen Wochenende den linken Knöchel zwei Mal gebrochen - und will am kommenden Sonntag dennoch auf dem Feld stehen. "Das ist nichts Neues für mich, ich habe in der Vergangenheit schon oft mit Verletzungen gespielt", sagt Favre.

Die Verantwortlichen der NFL stehen nun vor dem Dilemma, das Image der harten Kerle einerseits fördern zu wollen, andererseits jedoch die gesundheitlichen Schäden für die Spieler nicht mehr ignorieren zu können. "Es gibt anscheinend eine Grenze, die der menschliche Körper nicht überschreiten kann", sagt Hines Ward. "Und diese Grenze gibt es auch für Footballspieler."

NFL-Chef Roger Goodell verschickte deshalb in der vergangenen Woche Pakete an die Vereine. Darin waren Videos und Zeichnungen mit erlaubten und unerlaubten Zusammenstößen - und die Ankündigung, illegale Tackles künftig hart zu bestrafen. Er statuierte auch gleich einige Exempel: Brandon Meriweather von den New England Patriots musste 50.000 Dollar Strafe zahlen, James Harrison von den Pittsburgh Steelers gar 75.000 Dollar. "Künftig werden wir Spieler, die sich nicht an die Regeln halten, auch suspendieren", sagt Goodell.

Die Spieler beschweren sich

Die Ankündigung, rigoros durchgreifen zu wollen, stößt nicht bei allen Spielern auf Zustimmung. "Ich spiele Football, seit ich acht Jahre alt bin", sagt etwa Harrison. "Ich kann mich anpassen, aber ich finde, dass das Spiel gut ist, wie es derzeit gespielt wird. Es ist nun mal ein harter Sport, bei dem man sich hin und wieder auch mal weh tun kann." Der Vorwurf der Verteidiger lautet, dass die Verantwortlichen nicht alle Akteure schützen wollen, sondern vor allem die prägenden Offensivspieler. Punter Chris Kluwe veröffentlichte über Twitter eine Zeichnung, die in der Umkleidekabine seines Vereins Minnesota Vikings hängt. Sie zeigt ein Strichmännchen, das ein anderes brutal umreißt. Darunter steht: "Quarterback oder Receiver, der zehn Millionen verdient: illegal. Punter oder irgendein anderer unwichtiger Spieler: legal."

Die Spieler monieren, das Vorgehen der NFL-Verantwortlichen sei scheinheilig, um der aktuellen Debatte um die Gefährlichkeit des Sports den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Liga gehe zwar gegen allzu brutale Zusammenstöße vor, plane auf der anderen Seite jedoch eine Erweiterung der regulären Saison um zwei Spiele. "Es ist nicht nur die Intensität der Tackles entscheidend, sondern auch die Anzahl über eine Saison gesehen", sagt Hines Ward.

Ein Receiver wie Ward erlebt derzeit durchschnittlich etwa 320 Zusammenstöße pro Saison, ein Spieler an der Angriffslinie mehr als 1000. Durch die Verlängerung der Saison um zwei Spiele würde sich die Zahl der Tackles um 12,5 Prozent erhöhen - und damit auch die Anzahl der Spieler steigern, die sich plötzlich für Batman halten.

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