Süddeutsche Zeitung

Alexander Zverev:Viel zu viele Störgeräusche

Lesezeit: 3 min

Die Fehler im Aufschlagspiel sind symptomatisch für alles, was bei Alexander Zverev gerade schiefgeht - nicht nur beim Scheitern im Achtelfinale der US Open.

Von Jürgen Schmieder, New York

"Das Übliche." Die ersten Worte von Alexander Zverev nach seiner Niederlage gegen Diego Schwartzman im Achtelfinale der US Open klangen wie eine Bestellung in der Stammkneipe. Es ging um seinen zweiten Aufschlag und darum, dass Zverev beim 6:3, 2:6, 4:6, 3:6 insgesamt 17 Doppelfehler produziert hatte, eine Eröffnung hatte er mit der grotesken Geschwindigkeit von nur 110 km/h übers Netz geschubst. Das Übliche, sagte Zverev also, und genau so ist es bei seinem übrigen Spiel: Der Hochbegabte, der Tennis für Feinschmecker spielen kann, hockt seit Wochen in einer Spelunke und weiß offenbar nicht, wo der Ausgang ist.

Nein, auch wenn das viele nun behaupten: Zverev spielt kein schreckliches Tennis. Andere junge Hochbegabte wie Stefanos Tsitsipas, Karen Chatschanow oder Nick Kyrgios sind bei den US Open früher gescheitert. Im so genannten "Race", bei dem sich die acht besten Spieler der Saison für das Finalturnier in London qualifizieren (das Zverev 2018 gewann), liegt der Deutsche auf Platz neun. "Davon träumen andere ihr Leben lang", sagt Zverev, und es stimmt schon: Dominik Koepfer, 25, wird für seine Achtelfinal-Teilnahme gefeiert, Zverev, 22, für sein Scheitern in der gleichen Runde geschmäht.

Zverev hat in New York all jene besiegt, die er besiegen sollte, und dann hat er gegen einen verloren, gegen den man verlieren kann. Schwartzman ist ein giftiger Spieler, auf den man sich schwer vorbereiten kann, weil es solche Typen selten gibt: klein und flink, aber technisch derart filigran, dass er Bälle sehr früh nehmen und druckvoll zurückspielen kann. Er hatte vor der Partie gegen Zverev keinen Satz abgegeben, und wäre sein Gegner im Viertelfinale nicht ausgerechnet der furchteinflößende Rafael Nadal, dann wäre Schwartzman noch mehr zuzutrauen in New York.

Zverev verarbeitet gerade zwei Dinge, die jeder Sportler in seiner Karriere mal erlebt, wenn auch bestenfalls nicht gleichzeitig: diese erste kleine Krise nach den ersten Erfolgen, wenn die ausgebufften Gegner die Schwächen kennen und sie bewusst bespielen (bei Zverev: die bisweilen passive Spielweise, das Hadern mit der eigenen Fehlbarkeit, die Ungeduld bei Mätzchen des Kontrahenten). Und dieses Zittern, wenn irgendwas ohne triftigen Grund plötzlich nicht mehr funktioniert. Das Nachdenken darüber und ausuferndes Training machen alles nur schlimmer.

Zverev plagten in diesem Sommer noch ein paar andere Dinge: Stress mit der Freundin, die Krankheit des Vaters, die Trennung von Trainer Ivan Lendl, der Rechtsstreit mit dem ehemaligen Manager Patricio Apey. Tennis ist ein psychologisch höchst interessanter Sport, weil auf größtmögliche Anstrengung die Pausen zwischen den Ballwechseln folgen, in denen einer nachdenkt: über den letzten Ballwechsel, das Match, das Leben. Manche Sportler stürzen in eine Krise, wenn sie abseits des Platzes nur eine schwierige Situation verarbeiten müssen - bei Zverev waren zuletzt derart viele Dinge nicht geklärt, dass es wirklich nicht verwundert hätte, wenn er ein paar Wochen lang jeden Tag in eine Spelunke gegangen wäre und "das Übliche" bestellt hätte.

Die Niederlagen zuletzt sind also einerseits normal für einen, der erst 22 Jahre alt ist - und viele der Störgeräusche jenseits des Sports sind nun beseitigt: Dem Vater geht es wieder besser, er war in New York als Trainer dabei. Die Freundin ist zurück, und Zverev wird nun von der Agentur Team Eight vermarktet, die sich auch um Roger Federer und die zum Wunderkind beförderte 15-jährige Amerikanerin Coco Gauff kümmert. Im Streit mit Apey soll es Fortschritte geben, wenn auch noch keine Lösung. Da dürfte sich in den kommenden Wochen vieles normalisieren.

Bleibt - andererseits - das Problem mit dem zweiten Aufschlag, und nun wird es interessant: Zverev sagte vor den US Open, dass er jeden Tag stundenlang geübt habe, und dass es irgendwann "Klick" gemacht habe. Auch das kennt jeder Sportler, wenn es aus unerklärlichen Gründen wieder funktioniert. Nur: Es klappte in New York dann doch nicht, Eröffnungen mit 110 km/h sind keine Aufschläge.

Zverev sagt auch, dass er keine technischen Veränderungen vorgenommen habe - was beim Betrachten der Trainingseinheiten zur Frage führt: Woran hat er stundenlang geübt, wenn nicht an kleinen Veränderungen? Wer Zverev fragt, was er verbessern könne, der hört nur Floskeln, eigentlich könnte er auch sagen: das Übliche.

Einen Kritiker hat er in Boris Becker gefunden, der als Kommentator beim Sender Eurosport zu dem Fazit kam: "Er hat sich in den letzten 18 Monaten als Spieler nicht verbessert." Und dann fügte der dreimalige Wimbledonsieger in einer Art Grundsatzreferat hinzu: "Für mich ist das Spiel ein bisschen zu eindimensional, zu lesbar für den Gegner. Er ist motiviert, ist fleißig, hat eigentlich ein gutes Umfeld, aber seine Netzangriffe und seine Position auf dem Platz sind gleich wie vor 18 Monaten." Mit Blick auf die vielen Doppelfehler sagte Becker: "Der zweite Aufschlag ist der Blick in die Seele eines Tennisspielers." So gesehen liegt da doch noch einiges im Argen.

Alexander Zverev ist kein junger Hüpfer mehr, er gibt mittlerweile den Elder Statesman unter den jungen Spielern und sagt offen, dass er diverse Mätzchen von Tsitsipas, Kyrgios oder Medwedew nicht leiden kann: "Ich will da nicht in einen Topf geworfen werden." Er kennt die Tenniswelt, seit er ein kleiner Junge war, er verfügt über ein Netzwerk und weiß, wen er anrufen kann, damit er beim Aufschlag und ein paar anderen Dingen helfen möge. Zverev wird nun ein paar Tage Urlaub machen und dann den Rest der Saison vorbereiten. Das Übliche eben.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2019
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