Süddeutsche Zeitung

200-Meter-Sieger Usain Bolt:Fiese Blutgrätsche von hinten

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Knuth, Peking

Ein handelsüblicher Segway ist, wenn man dem Fachportal duden.de glauben darf, ein "Stehroller nach der nordamerikanischen Herstellerfirma Segway Inc.; Genitiv: des Segways, Plural: die Segways."

Segways setzten sich aus einem kleinen Podest zusammen, darunter klemmen zwei Rollen, und wenn sich der Stehroller, pardon, der Segway-Pilot etwas nach vorne lehnt, kann er entspannt durch die Gegend rollen. Nicht zuletzt deshalb tauchten Segways in den vergangenen Jahren vermehrt in Großstädten auf, vor allem in nordamerikanischen. In den meisten Fällen werden sie von Touristengruppen gesteuert, und nach allem was man weiß, gibt es kaum eine Möglichkeit, auf so einem Stehroller nicht außerordentlich dämlich auszusehen.

Seit diesem Donnerstag bei der Leichtathletik-WM in Peking ist zudem bekannt: Man muss nicht außerordentlich schnell laufen können, um den Weltrekordhalter Usain Bolt, 29, aus Kingston, Jamaika, in die Knie zu zwingen. Ein Stehroller reicht.

Bolt hatte gerade die 200 Meter in 19,55 Sekunden gewonnen, vor dem Amerikaner Justin Gatlin (19,74) und Anaso Jobodwana, der sich mit südafrikanischem Rekord von 19,87 Sekunden Platz drei verdiente. Bolt ist nach seinem Sieg über 100 Meter mal wieder Doppel-Weltmeister im Sprint, zum dritten Mal nach 2009 und 2013. Wobei: Das würde ihm auch wieder nicht ganz gerecht nach seinem Olympia-Doppel 2008, an das er 2012 ein zweites Doppel reihte. Der dreimalige Doppel-Weltmeister und zweimalige Doppel-Olympiasieger begab sich in Peking nun also auf die Ehrenrunde. Ein Kameramann begleitete ihn auf der Zielgeraden, man muss an dieser Stelle sagen, dass auch Kameramänner auf Segways außerordentlich dämlich aussehen. Auf der Zielgeraden touchierte der Kameramann dann das Gleis, auf dem die Kamera während eines Laufs neben den Sprintern fährt. Der Stehroller nahm das zum Anlass, scharf nach rechts abzubiegen, Kamera, Kameramann und Stehroller rutschten dem dreimaligen Doppel-Weltmeister in die Hacken.

Es war das, was man in Fußball-Fachportalen eine Blutgrätsche nennt. Es dauerte eine Weile, ehe Bolt wieder funktionsfähig genug war, um die Ehrenrunde abzuschließen.

Das Rennen? Ach ja, das Rennen. Bolt musste sich ein wenig anstrengen, das schon. Justin Gatlin, der ihm über die 100 Meter sehr zu schaffen gemacht hatte, schob sich flinker aus dem Startblock. Als das Feld aus der Kurve auftauchte, waren die beiden noch fast gleichauf. Dann setzte sich Bolt vom Feld ab, Farben flirrten durch das Pekinger Vogelnest, und zehn Meter vor dem Ziel war eigentlich wieder alles beim Alten: Usain Bolt joggte ins Ziel eines Wettrennens, das im Grunde schon fast wieder keines war.

"Ein Boss! Ich habe Euch gesagt, dass ich es schaffe. Es gab nie Zweifel", sagte Bolt später in die Mikrofone. Vor ein paar Monaten war es ja noch Gatlin gewesen, der allen davongejoggt war, während Bolt sich kaum auf Laufbahnen blicken ließ, verletzungsbedingt, wie es hieß. Jenseits dieser Erziehungsmaßnahme rollten dann bald die üblichen Floskeln vom Fließband. "Ich bin glücklich, eine große Sache, eine große Leistung, die Medaille bedeutet mir sehr viel", sagte Bolt; sein Einsatz in der Staffel sei auch nicht in Gefahr. "Ich bin der älteste Mann im Feld, dafür laufe ich noch ganz gut. Ich werde mich jetzt auf die Olympischen Spiele 2016 vorbereiten", sagte Gatlin. Zu den drängenden Themen ihrer Sportart hatten die schnellsten Männer der Welt auch diesmal nicht viel zu sagen.

Dabei hatten die Journalisten den beiden eine Debatte frei Haus geliefert. Britische Reporter hatten, grob gesagt, im Rahmen des 100-Meter-Finales geschrieben, Bolt sei gut und Gatlin blöd; ein zweimaliger Dopingtäter könne schließlich unmöglich im großen Theater der Leichtathletik die Hauptrolle innehaben. Amerikanische Journalisten schrieben daraufhin, dass sie es blöd fänden, dass die Briten Gatlin so blöd finden, woraufhin die Briten antworteten, wie blöd man eigentlich sein müsse, es blöd zu finden, dass die Briten Gatlin blöd fänden. Gut gegen Böse, das ist freilich ein ziemlich schiefer Rahmen, in den sie die beiden in diesen Tagen gepresst haben. Auch, weil man bis heute einfach nicht zweifelsfrei in alle Tiefen eines Athletenkörpers hineinschauen kann.

Am Donnerstagmittag hatte die ARD-Dopingredaktion noch eine Nachricht in die Welt gesetzt. Victor Conte hatte dem Sender ein Interview gegeben, er war mal für den Dopingskandal des berüchtigten Balco-Labors in Kalifornien verantwortlich. Heute gibt er sich geläutert, er gibt zudem vor, die Szene noch immer gut zu kennen. Conte sagte, dass in der Leichtathletik gerade mehrere Substanzen im Umlauf seien, zum Beispiel der Wachstumsfaktor IGF 1 Long R 3, für den es nach wie vor keinen Test gebe. Zudem habe er die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) bereits 2007 aufgefordert, eingefrorene Proben der besten Athleten bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften nachzutesten: von Usain Bolt, von Carmelita Jeter und Jason Richardson aus den USA, von den Langstreckenläufern Mo Farah und Galen Rupp.

Die Wada soll Conte vertraulich mitgeteilt haben, dass Nachtests "keine gute Idee" seien. "Man sagte mir, diese Nachtests auf künstliches Testosteron bei Usain Bolt oder anderen großen Stars werde es nicht geben", erzählte Conte: "Die Stars brächten der olympischen Bewegung viele Dollars von Sponsoren ein."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2624187
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.08.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.