Süddeutsche Zeitung

Reisebuch "Remote Experiences":Bei den Adlerjägern

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Der Bildband "Remote Experiences" versammelt zwölf außergewöhnlich abgelegene Reiseziele. Nur seltsam, dass der Fotograf und die Autorin sie auf Pauschal-Luxusreisen besuchen.

Rezension von Hans Gasser

Die Adlerjäger von Bayan-Ölgii - wie sie da auf ihren Pferden sitzen, gekleidet in Fuchspelze, die wettergegerbten Gesichter unter den traditionellen Fellkappen, und jeder trägt auf dem Lederhandschuh einen Steinadler -, das ist schon ein archaisches, ein starkes Bild. Den Hintergrund für dieses vermeintlich uralte Jagdspektakel bilden die mit Schnee bezuckerten mongolischen Hügelberge. Man könnte denken, gleich reite Dschingis Khan um die Ecke.

Aber natürlich ist die Zeit nicht stehen geblieben, auch nicht im äußersten Westen der Mongolei, wo Kasachen, die vor dem russischen Imperialismus hierher geflohen sind, die Kunst des Jagens mit Steinadlern immer noch beherrschen und ausüben. Aber die schönen und exotisch anmutenden Bilder, die auch mal einen Jäger zeigen, der seinen Adler nicht auf dem Pferd, sondern mit seinem chinesischen Motorrad transportiert, hat man so ähnlich schon öfter in diversen Magazinen gesehen. Und im Text der Journalistin Debbie Pappyn ist dann auch zu erfahren, dass die Aufnahmen während des Adlerfestivals gemacht wurden, das jährlich im September hier stattfindet und das im Gegensatz zum bekannteren Naadam-Festival in der Hauptstadt noch "unter dem Radar" der meisten Touristen fliege. Hier kämen nur Fotografen und Filmemacher her.

Trotzdem steht in der Rubrik "How to Go", die Pappyn zusammen mit Informationen über Anreise und Unterkunftsmöglichkeiten hinter jede der zwölf Bilderserien von David de Vleeschauwer stellt, man könne für 350 Euro ein dreitägiges Adler-Festival-Paket buchen. Es sei möglich, in einer Jurte bei einem Adlerjäger zu übernachten: "Nennt es Couchsurfing", aber vergesst den warmen Schlafsack nicht.

Und an diesem Punkt ist man dann als Leser eines Buches mit dem Titel "Remote Experiences" das erste Mal ein bisschen enttäuscht, hatte man doch eigentlich erwartet, dass Fotograf und Reporterin unter größten Entbehrungen dort hingehen, wo noch kaum jemand war oder wo es zumindest beschwerlich ist, man sich sein Erlebnis durch lange Märsche und schlechtes Essen verdienen muss.

Doch je weiter man in dem dicken Buch blättert, wird klar: Hier geht es um Erlebnisse von der Stange, wenn auch um sehr exklusive. Erlebnisse - Experiences, das ist die neue Währung im Luxustourismus. Denn worüber ließe sich auf Instagram besser Aufmerksamkeit bei seinen Freunden aus den sozialen Medien erzeugen, als mit drei Nächten bei den Adlerjägern in der Mongolei oder dem Transhumanz-Schafauftrieb in den Abruzzen oder sogar mit einer Pauschaltour samt Aufpasser durchs steinzeitkommunistische Nordkorea - ein bisschen Gruseln inklusive?

De Vleeschauwers Bilder sind durch die Bank sehr gute, klassische Reportagefotografien, die Lust zum Wegträumen, aber auch zum Wegfahren machen. Vielleicht kommt die Enttäuschung eher daher, dass die Vorworte einiger englischsprachiger Reisejournalisten und Bestseller-Buchautoren sich durchaus philosophisch mit dem Thema "Remoteness", also Abgelegenheit und Ferne beschäftigen, während die Texte der Lifestyle-Autorin Debbie Pappyn ( Monocle) die zwölf Ziele relativ oberflächlich und zusammenfassend behandeln. Mal abgesehen davon, dass die Themen CO₂ und schädliche Einflüsse von Fern- und Luxusreisen mit drei Sätzen kommentiert werden. Pappyn schreibt keine Reportagen, Einheimische kommen so gut wie gar nicht zu Wort. Es sind bessere Reiseführer-Einträge, die auf Nutzwert für den potenziellen Nachreisenden getrimmt sind und nicht auf tieferes Verständnis der besuchten Menschen und Regionen.

Wie es anders ginge, lässt das Vorwort des preisgekrönten Reisebuchautors Stanley Stewart erahnen. Der ist beispielsweise 1000 Meilen auf dem Pferd durch die Mongolei geritten und hat dabei eine wirkliche, tiefer gehende Erfahrung gemacht: Er fühlte sich dabei, als habe er "mehrere Hautschichten des alten Lebens abgelegt" und nur die Essenz des Lebens beibehalten: "Ich hatte mich an die Prioritäten der Nomaden angepasst: ein gutes Camp, Wasser, Gras für die Pferde und die Aussicht auf schönes Wetter."

Derlei sucht man sonst in "Remote Experiences" vergeblich, weil es um viel schneller konsumierbare Erlebnisse geht. Da ist etwa die Fahrt mit dem russischen Atomeisbrecher bis zum Nordpol. Ein Drohnenfoto zeigt die zahlungskräftigen Passagiere, wie sie in gelben Overalls im großen Kreis um den mit rotem Wimpel markierten Nordpol stehen, und zu allem Überfluss steht da ein winkender Eisbär, unter dessen Pelz wohl ein Mitarbeiter der Crew steckt. Auch solche Fotos sagen viel aus, allerdings eher über die Reisenden als über das Reiseziel.

Oder da ist die exotische Bilderserie aus Papua-Neuguinea, das uns die Autorin als "untouched", also unberührt von fremden Einflüssen verkauft. Aber dass die Frauen und Männer ihre furchterregenden Masken, Federkopfputz und Baströckchen ganz zufällig an einem weißen Traumstrand tragen, mag man dann auch nicht glauben. Noch weniger, wenn es in den praktischen Informationen heißt, die "charmante Lodge" im papuanischen Hochland halte sogar "elektrische Heizdecken" bereit. Abgelegen und exotisch, ja bitte, aber auf einen gewissen Komfort möchten wir dann doch ungern verzichten.

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